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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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für Vernehmungen. Die Fenster waren geschlossen, der Straßenlärm wäre sonst unerträglich gewesen.
    »Entschuldige, das hab ich jetzt nicht verstanden«, sagte Rolf Stern, Erster Hauptkommissar der Mordkommission, der nicht Mitglied der Soko war, weil ihn die Angelegenheiten in seiner eigenen Abteilung genug in Beschlag nahmen. Stern trug einen goldenen Knopf im linken Ohr und ein Lederkäppi, das er selten abnahm; meist lief er in einem abgewetzten grünen Parka und ramponierten Bluejeans herum, und er drehte sich seine Zigaretten selber. Vor drei Monaten war er fünfzig geworden, und die Kollegen hatten ihm eine teure schwarze Lederjacke geschenkt, die ihm, wie er behauptete, derart gut gefiel, dass er sie nicht durch übermäßiges Tragen vorzeitig abnutzen wollte.
    »Wahrscheinlich ein Opel Kadett«, sagte Freya Epp und schaute hinüber ins andere Zimmer, wo Stern neben dem Gummibaum saß. »Aber die Buchhändlerin ist sich nicht sicher, sie ist sich überhaupt nicht sicher, weil eigentlich hat sie, als sie die Meldung im Radio gehört hat, das war eine Stunde später, also eine Stunde nachdem sie den Jungen gesehen hatte,
angeblich
gesehen hatte, sie hat ja, wie gesagt, vor allem den Rucksack gesehen mit den roten Streifen, also sie hat …«
    Ein Stuhl wurde lautstark gerückt, und jemand hustete.
    »Also, sie hat praktisch nichts gesehen …« sagte Freya.
    »Sie hat den Jungen gesehen«, sagte Volker Thon, der neben Karl Funkel an der Schmalseite desselben Tisches wie Freya saß.
    »Das sagt sie, und wahrscheinlich stimmt das auch. Aber sicher können wir nicht sein. Wir können uns einfach nicht drauf verlassen.«
    »Was hat sie zu der Beschreibung des Jungen gesagt?«, rief Stern hinüber.
    »Wenig, ich …«
    »Vielleicht stehst du besser auf, Freya«, sagte Weber, der ihr gegenüber saß.
    Den Notizblock in Händen, stand sie auf und hätte sich am liebsten sofort wieder hingesetzt. Jeder starrte sie an; frei reden war schlimm genug, aber im Stehen vor versammelter Mannschaft frei reden zu müssen, das trieb ihr den Schweiß aus allen Poren; vermutlich hatte sie schon so rote Ohren wie ihr Kollege Weber; bloß nicht hinschauen zu ihm! Bloß nichts anmerken lassen! Was war die Frage gewesen?
    »Also, die junge Frau, die Buchhändlerin«, begann Freya, »die hat die Meldung im Radio …«
    »Bitte lauter!«, rief jemand von drüben, eine Frau.
    »Entschuldigung. Also diese Buchhändlerin, die hat die Meldung im Radio vor einer Stunde gehört, also um fünf. Das heißt, sie hat den Jungen, der ins Auto gestiegen ist, um halb fünf gesehen, zu einer Zeit, als der Hubschrauber über dem Ostfriedhof gekreist ist und die Kollegen in der Gegend Streife gefahren sind. Die Frau sagt, der Junge sei in einen roten Opel Kadett gestiegen, der vor einer Metzgerei in der Tegernseer Landstraße geparkt war. Und er hatte einen schwarzen Rucksack mit roten Streifen dabei. Er ist zu einem Mann eingestiegen, und die beiden sind dann losgefahren, Richtung Süden, also nicht Richtung Ostfriedhof, sondern …«
    »Hat die Frau den Jungen auf dem Foto wiedererkannt?«, rief Stern, die Zigarette im Mundwinkel.
    »Erst hat sie ja gesagt, dann war sie sich nicht mehr sicher.«
    »Sie hat ihren Chef geholt, aber der hat gar nichts gesehen«, sagte Florian Nolte.
    »Ich hab sie gefragt, ob sie die braune Wildlederjacke erkannt hat, die der Junge anhat«, sagte Freya, »und sie behauptete, ja. Den Mann hat sie überhaupt nicht gesehen, der saß nämlich schon im Auto, als sie vor die Tür ihres Buchladens ging, um den Kasten mit den Taschenbüchern reinzuholen …«
    »Warum hat sie das getan?«, fragte Thon.
    »Weiß ich nicht. Vielleicht, weil sie nicht wollte, dass sie nass werden.«
    »Die Frau stand auf dem Bürgersteig und hat auf die andere Straßenseite gesehen zu dem roten Opel vor der Metzgerei. Wie weit war das weg?«, fragte Funkel und steckte sich die Pfeife in den Mund.
    »Hundert Meter etwa«, sagte Florian, bevor Sonja antworten konnte.
    »Dann muss sie den Mann doch hinter der Windschutzscheibe gesehen haben!«, sagte Thon.
    »Hat sie aber nicht. Sie ist auch nicht auf dem Bürgersteig gestanden, Herr Funkel, sie ist aus dem Laden gegangen, um den Kasten mit den Büchern reinzuholen, und dabei hat sie einen Blick nach drüben geworfen, sie war höchstens eine halbe Minute draußen. Da steigt ein Junge in ein Auto, das ist ja nichts Ungewöhnliches.«
    »Dann können wir davon ausgehen, dass der Junge

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