Die Erfindung des Jazz im Donbass
nicht ganz verloren war, und machte sich daran, ihn umzuerziehen. Zuerst steckte man ihn in die Berufsschule. Aber in der zweiten Woche ließ Kotscha eine Drehbank mitgehen und wurde rausgeschmissen. Nachdem er ein oder anderthalb Jahre in unserer Gegend abgehangen hatte, wurde er in die Armee eingezogen. Er diente im Baubataillon bei Schytomyr, kehrte jedoch mit Tätowierungen der Luftlandetruppen nach Hause zurück. Das war seine Sternstunde. Kotscha lief in Schulterklappen durchs Viertel und schlug jeden nieder, den er nicht kannte. Wir Jungs waren von ihm begeistert, er war uns ein schlechtes Vorbild. Der Komsomol unternahm einen letzten kläglichen Versuch im Kampf um Kotschas Seele und schenkte ihm eine Einzimmerwohnung in unserem Nachbarhaus. Kotscha bezog die Wohnung und verwandelte sie in einen Hort der Sünde. Anfang der Achtziger ging die gesamte progressive Jugend des Viertels durch seine Wohnung – die Jungs sammelten hier Mut, die Mädels Erfahrung. Kotscha selbst begann immer mehr zu trinken, so dass er den Zerfall des Landes gar nicht mitbekam. Als Ende der Achtziger in der Stadt ein Serienkiller sein Unwesen trieb, verdächtigten die Behörden und die Miliz Kotscha. Sie trauten sich aber nicht, ihn zu verhaften, weil sie Angst vor ihm hatten. Auch die Nachbarn waren fest davon überzeugt, dass es Kotscha war, der in duftenden Sternennächten Molkereimitarbeiterinnen vergewaltigte und sie danach mit einem spitzen Metallgegenstand abstach. Die Männer achteten ihn dafür, den Frauen gefiel er. Anfang der Neunziger, als es den Komsomol nicht mehr gab, mussten die Strafverfolgungsbehörden das Heft wieder in die Hand nehmen. Als Kotscha einmal in einem langen, ausgelassenen Rausch die Reklame einer neu gegründeten Aktiengesellschaft anzündete, war der letzte Tropfen Geduld aufgebraucht. Er wurde in seiner Wohnung festgenommen. Als man ihn abführte, bildete sich eine kleine Protestdemo. Wir, damals schon erwachsene Kerle, unterstützten Kotscha. Doch niemand hörte auf uns. Er bekam ein Jahr, das er irgendwo im Donbass absaß. Im Knast lernte er Mormonen kennen, die Kotscha mit ihren Broschüren und, auf seine Bitte, auch mit Rasierwasser zum Trinken und Zigaretten zum Rauchen versorgten. Nach einem Jahr kehrte er als Held heim. Nach einiger Zeit kamen die Mormonen, um seine Seele zu holen. Es waren drei junge Aktivisten in billigen, aber korrekten Anzügen. Kotscha ließ sie herein, hörte sie an, holte dann unter dem Sofa eine Knarre hervor und trieb sie ins Bad. Dort hielt er sie zwei Tage gefangen. Am dritten Tag beschloss er unvorsichtigerweise, sich zu waschen, öffnete die Tür, und die Mormonen büxten aus. Auf dem Revier wollten sie Anzeige erstatten, doch die Miliz kam zu dem weisen Schluss, dass es besser wäre, die Mormonen selbst zu isolieren, und sperrte sie bis zur Klärung ihrer Identität in eine Zelle. In den nächsten paar Jahren versuchte Kotscha vergebens, vernünftig zu werden, er ließ sich dreimal scheiden, immer von derselben Frau. Aber mit dem Privatleben wollte es einfach nicht klappen, und Kotscha feierte weiterhin Abschied von seiner Jugend. Erst Ende der Neunziger, als er mit abgebissenem Finger und durchstochenem Bauch ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war der Abschied vollzogen. Den Finger hat ihm seine Frau im Streit abgebissen, wer ihm den Bauch durchstochen hatte, dazu schwieg Kotscha hartnäckig. Ungefähr zu dieser Zeit fing mein Bruder an, ihm zu helfen, schanzte ihm gelegentlich Arbeit zu, gab ihm Geld und unterstützte ihn überhaupt. Etwas aus ihrem früheren Leben, irgendeine Geschichte, muss die beiden verbunden haben, mein Bruder hat sie ein paar Mal andeutungsweise erwähnt, wollte aber nicht ins Detail gehen, er hat einfach gesagt, dass man Kotscha vertrauen könne, der würde einen im Ernstfall nicht hängen lassen. Vor einigen Jahren wurde Kotscha von seinem Zigeunerclan vor die Tür gesetzt und übersiedelte an die Tankstelle. Er wohnte im Bauwagen, führte ein gemächliches Leben, schwärmte nostalgisch von der Vergangenheit, aber zurück in seine Wohnung wollte er nicht. Kotscha sah ziemlich schräg aus, seine Glatze hatte einen zarten Rosateint, und mit Brille glich er einem irren Chemiker, der gerade ein alternatives, umweltfreundliches Kokain erfunden und bereits erfolgreich an sich selbst ausprobiert hat. Er lief im orangefarbenen Overall und in Militärstiefeln herum, hatte überhaupt viele Military-Klamotten aus Secondhandläden und besaß
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