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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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ausgestochenen Augen der Mannequins, frisch vergossener Leim und dunkelrote Tropfen Erdbeermarmelade, die an gestockten Nagellack erinnerten. Dies alles wurde von einem gemeinsamen Hintergrund zusammengehalten, einer lehmig-hellgrünen Füllung, die dicht von Buchstaben und Zeichen, gewellten Linien und Farbschattierungen überzogen war. Ich schaute lange, konnte aber nicht verstehen, was das bedeutete. Schließlich angelte ich mit dem Finger nach Kotschas Abgängerfoto, zog daran und riss es heraus. Unter dem Foto war ein großes S. Das war eine Landkarte. Wahrscheinlich eine geographische Karte der Sowjetunion. Lehm – das sind die Karpaten, der Kaukasus und die Mongolei, hellgrün die Taiga und die Kaspische Senke, dort, wo der Lehm härter und kreidetrocken wird, mussten Wüsten liegen. Der Stille Ozean war dunkelblau, das Nordpolarmeer hellblau bis weißlich. Dort, wo der Nordpol war, hing ein nacktes Mädchen ohne Kopf. Geographie als Hobby für Halbwüchsige. Ich versank in der Stille.
    *
    Stimmen weckten mich, und diese Stimmen gefielen mir ganz und gar nicht. Ich sprang auf und ging hinaus. Die Stimmen kamen von der Tankstelle, mehrere Männer schrien durcheinander, ich konnte nur Kotschas verängstigte Stimme erkennen.
    In den Autositzen neben dem Kassenhäuschen fläzten sich zwei Kerle in Sakkos und Jeans. Der eine mit Schlips, der andere, wohl der Boss, mit offenem Hemdkragen, der eine in Turnschuhen, der andere in Lederschuhen. Der dritte Kerl in Jeans und Adidas-Sportjacke hielt Kotscha an der Brust gepackt und rüttelte ihn von Zeit zu Zeit heftig. Kotscha schrie immer wieder abwehrend auf, und die Jungs in den Autositzen fingen an zu lachen. So so, dachte ich und trat vor.
    – Hey, – rief ich. – Was liegt an?
    Den Ersten mach ich fertig, dachte ich, und hau ab. Aber was wird dann aus Kotscha?
    Vor Überraschung ließ der Kerl Kotscha los, und der plumpste auf den Asphalt. Die zwei in den Autositzen blickten missmutig in meine Richtung.
    – Was soll der Scheiß? – fragte ich, meine Worte achtsam wählend.
    – Und wer bist du? – fragte tumb derjenige, der Kotscha geschüttelt hatte.
    – Und du? – fragte ich.
    – He, Schlappschwanz, – der Kerl gab Kotscha, der neben ihm auf dem Asphalt saß und sich den Hals rieb, einen kräftigen Fußtritt. – Wer ist das?
    – Das ist Hermann, – sagte Kotscha. – Juriks Bruder. Der Eigentümer.
    – Der Eigentümer? – fragte der Boss und erhob sich langsam. Auch der andere, der mit dem Schlips, erhob sich jetzt.
    – Der Eigentümer, – bestätigte Kotscha.
    – Wieso Eigentümer? – fragte der Boss verständnislos. – Und Jurik?
    – Jurik ist nicht da, – erklärte Kotscha.
    – Und wo ist er? – fragte der Boss ärgerlich.
    – Auf Fortbildung, – sagte ich.
    Aus dem Augenwinkel sah ich einen PKW von der Straße abbiegen, unsere letzte Hoffnung.
    – Und wann kommt er zurück? – der Boss hatte das Auto auch gesehen und wurde langsam nervös.
    – Wenn er sich fortgebildet hat, – antwortete ich, – dann kommt er zurück. Was liegt an?
    Der PKW tauchte vor der Tankstelle auf und bremste mit langgezogenem Quietschen. Der Staub legte sich, und dem Auto entstieg Schura der Versehrte. Er musterte die Gesellschaft mit bösem Blick und trat auf uns zu. Am Kassenhäuschen blieb er stehen, sagte nichts, beobachtete aber aufmerksam.
    – Also, was liegt an? – wiederholte ich für alle Fälle meine Frage.
    – Ihr panscht Benzin, – antwortete der Boss giftig.
    – Wir werden der Sache nachgehen, – versprach ich.
    – Macht das, – stimmte der Boss missmutig zu und machte sich auf den Weg zu dem Jeep, der in einiger Entfernung parkte. Die beiden anderen folgten ihm. Der Mann, der Kotscha festgehalten hatte, holte aus, um noch einmal zuzutreten, aber nach einem Blick auf den Versehrten kuschte auch er.
     
    Hinter dem Jeep zog sich eine Spur über den Asphalt. Sie hatten wohl scharf gebremst, als sie kamen. Bis zu den Zapfsäulen führte die Spur nicht. Offenbar hatte keiner auch nur daran gedacht, zu tanken. Die Kerle stiegen ein, drückten aufs Gas und rasten in Richtung Landstraße. Kotscha stand auf und begann, sich den Staub abzuklopfen.
    – Wer war das? – fragte ich ihn.
    – Banditen, – antwortete Kotscha nervös. – Maiskönige.
    – Was wollten sie?
    – Nichts, – Kotscha setzte die Brille auf, schlüpfte an mir vorbei und verschwand um die Ecke.
    – Hi, Harry, – der Versehrte kam auf mich zu und drückte mir die

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