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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Kassenhäuschen. An der Wand hing ein Telefon. Ich hob den Hörer ab.
    – Funktioniert nicht, – Kotscha stand in der Tür und schaute auf den Hörer in meiner Hand. – Hab ich dir doch gesagt.
    – Hast du vielleicht ein Handy?
    – Ja, funktioniert aber auch nicht, – antwortete Kotscha.
    – Und der Versehrte?
    – Der Versehrte hat auch eins. Das gibt er dir aber nicht.
    – Verfuckter Scheiß! – Ich glaubte ihm nicht, stieß ihn zur Seite und ging zur Werkstatt.
     
    Der Versehrte hatte schon einen Blaumann angezogen, auf seinem Kopf saß ein schwarzes Barett. Vor ihm hing an einer Stange irgendwelcher Schrott, den er abtastete wie ein Schlachter die Kuh.
    – Schura, – sagte ich, – gib mir bitte mal dein Handy. Ich bleibe bis morgen hier, muss nur meinen Leuten Bescheid sagen.
    – Du bleibst? – Der Versehrte musterte mich. – Na dann. Ich hab aber kein Geld auf der Karte.
    – Und wo kann ich telefonieren?
    – Geh rüber zum Sendeturm. Und hört, verdammt noch mal, endlich auf, mich zu stören! – brüllte er mir hinterher.
    *
    Ich umrundete das Kassenhäuschen, passierte den Bauwagen und folgte dem Pfad, hinab in die kleine Schlucht. Drüben kletterte ich wieder hinauf, zwängte mich durch Himbeergebüsch und gelangte auf den asphaltierten Weg, der von der Landstraße abzweigte, und kam an den Zaun vom Sendeturm. Am Tor stand »Zutritt verboten«. Das Tor aber stand offen. Ich betrat den Hof. Der Weg führte zu einem einstöckigen Gebäude, in dem sich wohl der Schaltraum befand oder was sonst zu einem Sendeturm gehört. Der Turm selbst stand etwas weiter entfernt, von Blumenbeeten umgeben und umflochten mit Stacheldraht. Ein alter Schäferhund bog um die Ecke, kam näher, schnüffelte müde an meinen Schuhen und ging seiner Wege. Kein Mensch weit und breit. Und wenn hier der Schäferhund für die korrekte Fernsehübertragung verantwortlich war, dann vernachlässigte er offensichtlich seine Pflichten. Ich blieb stehen und wartete, dass jemand herauskäme, und als niemand kam, näherte ich mich dem Gebäude. Die Tür war verschlossen. Ich klopfte. Keine Reaktion. Ich trat ans Fenster und spähte hinein. Drinnen war es dunkel und leer. Plötzlich tauchte ein Gesicht auf. Erschrocken fuhr ich zurück. Sofort verschwand das Gesicht, ich hörte Schritte, die Tür öffnete sich, und auf der Schwelle stand ein Mädchen, so um die sechzehn. Kurz geschnittene schwarze Haare, große graue Augen, Plastikohrringe. Sie trug ein kurzes helles Oberteil, Jeansrock und leichte Sandalen
    – Hi, – sagte sie.
    – Hi, – antwortete ich. – Ich bin Hermann. Von der Tankstelle.
    – Hermann? – fragte sie. – Juris Bruder?
    – Du kennst ihn?
    – Hier kennt jeder jeden, – erklärte sie.
    – Gibt es bei euch Telefon? Ich muss telefonieren, unseres haben sie abgestellt. Weil die Rechnung nicht bezahlt ist, sagt Kotscha.
    – Immer dieser Kotscha, – sagte das Mädchen und trat zur Seite, um mich vorbeizulassen.
    Ich ging durch den Korridor und kam in ein Zimmer mit einem Bett an der einen und einem Tisch an der anderen Wand. Das Mädchen war mir gefolgt und stand jetzt an der Tür, von wo sie mich aufmerksam beobachtete.
    – Kann ich? – fragte ich.
    – Mach nur, – antwortete sie. Das Zimmer verließ sie aber nicht.
    Ich nahm den Hörer ab und wählte meine Nummer zu Hause.
    – Ja, meldete sich Lolik mit mürrischer Stimme.
    – Hallo, ich bin’s.
    – Wo bist du? – fragte Lolik.
    – Bei meinem Bruder, alles in Ordnung. Wie war die Rückfahrt?
    – Beschissen. Borja ist schlecht geworden, ich habe ihn mit Müh und Not nach Hause gebracht.
    – Alles okay jetzt?
    – Geht so. Wann kommst du?
    – Hör mal, Kumpel, was ich sagen wollte – ich bleibe noch einen Tag, muss morgen die Buchhalterin treffen. – Das Mädchen hinter mir murmelte etwas. – Komme also erst am Dienstag. Sagst du Borja Bescheid?
    – Weiß nicht. Sag’s ihm lieber selber.
    – Ach komm, lass mich nicht hängen. Versprochen?
    – Red lieber selbst mit Borja, okay? Damit es keine Probleme gibt.
    – Was denn für Probleme, Lolik? Mach dir nicht ins Hemd. Freunden muss man vertrauen.
    – Ist ja gut.
    – Ich bring dir auch eine Frau mit. Aus Latex.
    – Eine Kardanwelle wär mir lieber.
    – Du willst es mit einer Kardanwelle treiben?
    – Arschloch, – sagte Lolik und legte auf.
     
    Das Mädchen begleitete mich hinaus.
    – Danke, – sagte ich.
    – Keine Ursache. Grüß deinen Bruder.
    – Er ist weg.
    – Und du –

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