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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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unseren Köpfen, ergoss sich rotes Feuer über das Tal und verkündete den Einbruch der Nacht. Vom Fluss stieg Nebel auf und verdeckte die nächstgelegenen Häuser, floss auf die Straße und kroch in die Vorstädte. In den Mulden hinter der Stadt lag ebenfalls weißer Nebel, so dass das ganze Tal, während es dunkelte, weich in den Augen zerfloss wie der Grund eines Flusses, obwohl es hier oben noch ganz hell war. Kotscha betrachtete das alles mit großen runden Augen, ohne zu blinzeln und ohne den Blick von der Nacht zu wenden, die heraufzog.
    – Hier, nimm, – ich reichte Kotscha meinen Player.
     
    Er setzte sich die Kopfhörer auf die Glatze und klickte hin und her, um die Lautstärke zu regulieren.
    – Was ist das? – fragte er.
    – Parker, – antwortete ich. – Zehn Alben.
    Eine Weile hörte Kotscha zu, dann legte er die Kopfhörer beiseite.
    – Weiß du, was hier richtig toll ist? – sagte ich. – Es fliegen einem überhaupt keine Flugzeuge über den Kopf.
    Er sah nach oben. Dort gab es tatsächlich keine Flugzeuge. Über den Himmel flogen irgendwelche Lichter, grüne Funken leuchteten auf, goldene Kugeln kollerten, und die Wolken wanderten scharf beleuchtet gen Norden.
    – Satelliten gibt es, – antwortete er schließlich. – Die kann man in der Nacht gut sehen. Wenn ich nicht schlafe, sehe ich sie immer.
    – Und warum schläfst du nachts nicht, Alter?
    – Weißt du, – begann Kotscha und ließ die Konsonanten knarzen, es ist ein Drama. – Ich hab Schlafprobleme, noch aus der Armeezeit, Harry. Du weißt ja – Luftlandetruppen, Fallschirmspringen, das Adrenalin wirst du dein ganzes Leben nicht mehr los.
    – Mhm.
    – Also hab ich ein Schlafmittel gekauft, hab nach einem Mittel gefragt, das mich umhaut. Hab irgend so ein chemisches Zeug gekauft und angefangen, es zu schlucken. Aber das Zeug wirkt nicht, kapierst du? Ich hab extra die Dosis erhöht, kann aber trotzdem nicht einschlafen. Nun schlafe ich aber tagsüber. Paradox . . .
    – Und was schluckst du da? Zeig her.
    Kotscha stöberte in den Taschen seines Overalls herum und holte ein Fläschchen mit einem Etikett in toxischen Farben hervor. Ich nahm die Flasche und versuchte zu lesen. Die Sprache war mir unbekannt.
    – Vielleicht ein Mittel gegen Kakerlaken? Wo wird das Zeug überhaupt hergestellt?
    – In Frankreich, haben die mir gesagt.
    – Und du glaubst, das ist Französisch? Solche Hieroglyphen? Okay, lass mich mal probieren.
    Ich öffnete den Verschluss, nahm eine lila Tablette und steckte sie mir in den Mund.
    – So nicht, Harry, – Kotscha nahm mir die Flasche weg. – Da spürst du gar nichts. Ich nehme nie weniger als fünf.
    Wie zur Bestätigung schüttete sich Kotscha ein paar Tabletten aus der Flasche direkt in den Schlund.
    – Gib her, – ich nahm das Fläschchen zurück, schüttete mir ein paar Pillen auf die Hand und warf sie mit einer schnellen Bewegung in den Mund.
    Dann saß ich und lauschte auf meine Empfindungen.
    – Hey, Kotscha, schnell wirkt es ja nicht gerade.
    – Hab ich doch gesagt.
    – Vielleicht muss man das Zeug mit Flüssigkeit zu sich nehmen?
    – Hab ich auch schon probiert. Mit Wein.
    – Und?
    – Nichts. Nur deine Pisse wird rot davon.
     
    Die Dämmerung wurde immer dichter, sie tropfte zwischen die Äste der Bäume und verdichtete sich im warmen staubigen Gras, das uns umgab. Durch den Nebel im Tal drangen apfelsinenfarbige Lichter. Der Himmel wurde schwarz und hoch, die Sternbilder traten hervor wie Gesichter auf Fotonegativen. Vor allem war ich überhaupt nicht müde. Kotscha setzte sich wieder die Kopfhörer auf und wiegte sich leicht im Takt der unhörbaren Musik.
    Plötzlich nahm ich unten am Fuß des Abhangs eine Bewegung wahr. Leute stiegen vom Fluss auf, kletterten den steilen Hang hinauf, tauchten durch den Nebel. Es war nicht auszumachen, wer dort ging, aber Schritte waren zu hören, als triebe jemand verängstigte Tiere vom Wasser weg.
    – Siehst du was? – fragte ich Kotscha alarmiert.
    – Ja, ja, – Kotscha wippte fröhlich mit dem Kopf.
    – Wer ist das?
    – Ja, ja, – Kotscha wippte weiter mit dem Kopf und blickte in die Nacht, die uns plötzlich verschluckt hatte.
    Ich rührte mich nicht und horchte auf die immer deutlicheren Stimmen, die im klebrigen feuchten Dunst näher kamen. Der Nebel, von unten aus dem Tal beleuchtet, schien mit Bewegung und Schatten erfüllt. Über dem Nebel war die Luft transparent, ab und zu stießen Fledermäuse in diesen Raum, kreisten

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