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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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misstrauischen Blick sah. Ich setzte mich neben sie, der Kellner kam zu uns, aber wir ließen uns mit der Bestellung noch etwas Zeit, um erst in Ruhe ein Glas Wein trinken zu können.
     
    Der Raum um dieses fünfstöckige Wohnhaus schräg gegenüber war einmal so etwas wie meine Heimat, sagte ich, nach einiger Zeit habe ich sogar nicht mehr ausgeschlossen, mein ganzes Leben in Rom zu verbringen. Stell Dir das vor, ich war achtzehn Jahre alt und hatte noch eine sehr enge Bindung an meine Eltern. Ich war ihr einziges Kind, ich war ihr fünfter …, nein, das wollte ich doch jetzt nicht sagen, ich war ihr einziges Kind, und sie hingen in einer geradezu verzehrenden Weise an mir. Und dann reist dieses einzige Kind zum ersten Mal ins Ausland und meldet sich nach drei Tagen von dort mit der Nachricht, ein paar Monate dort bleiben und eine Aufnahmeprüfung am Conservatorio ablegen zu wollen. – Und, hast Du diese Prüfung dann wirklich abgelegt?, fragte Antonia. - Paolo, der frühere Portiere des Hauses schräg gegenüber, hat mir damals geholfen. Gemeinsam mit ihm habe ich die vielen Formulare ausgefüllt und die notwendigen Unterlagen beschafft. Ich hatte zweieinhalb Monate Zeit, mich auf die Prüfung vorzubereiten. Drei Stücke von insgesamt einer Stunde musste ich spielen, es konnten darunter aber auch einzelne Sätze von größeren Kompositionen sein. – Und wie war es, am Tag Deiner Prüfung? Warst Du nervös? – Nein, ich war überhaupt nicht nervös, ich bin vor öffentlichen Auftritten niemals nervös gewesen, das hat damit zu tun, dass ich als Kind …, aber lassen wir das, das tut jetzt nichts zur Sache. Ich bin jedenfalls am frühen Morgen von hier aus mit dem Taxi zum Conservatorio gefahren, Paolo, der Portiere, hatte das Taxi bestellt und mir einen Anzug geliehen.
    Ich saß im Fond dieses römischen Taxis, trug einen schwarzen Portiersanzug und dachte: Jetzt geht es um Leben oder Tod! Mein Gott, ich dachte das wirklich, genau so: Es geht um Leben oder Tod! – Aber wenn es doch um Leben oder Tod ging, musst Du doch nervös gewesen sein. – Nein, nervös war ich nicht, ich war vollkommen ruhig, fühlte mich aber eiskalt, Deine Hände sind ja eiskalt, sagte damals Clara zu mir. – Clara? Welche Clara? – Ach, Clara war eine Nichte von Signora Francesca, sie saß damals auch im Taxi und begleitete mich zur Prüfung. – War sie Deine Freundin? – Ja, sie war eine gute Freundin. – Wart Ihr ineinander verliebt? – Nein, wir waren damals wohl nicht ineinander verliebt, wir waren gute Freunde, das war alles. – Und weiter?
     
    - Im Conservatorio musste man sich im Büro anmelden, man bekam eine Nummer und anhand der Nummer war dann klar, wann man vorzuspielen hatte. – Weißt Du noch, wann Du vorspielen musstest? – Ich musste um 11.20 Uhr vorspielen, ich weiß es noch genau. – Und was hast Du bis 11.20 Uhr getan? – Ich habe mich von den beiden anderen getrennt und bin hinüber zum Tiber gegangen. Ich habe mich an den Tiber gesetzt und mich zu konzentrieren versucht. Und ich hatte dauernd diesen Satz im Kopf: Es geht um Leben und Tod, ich wurde den Satz einfach nicht los. – Und weiter? Was passierte um 11.20 Uhr?
     
    - Ich musste vor dem Konzertsaal des Conservatorio warten, bis ich hereingerufen wurde. An der Querwand saßen die Juroren, viele Juroren, ich konnte gar nicht genau übersehen, wie viele es eigentlich waren. Der Vorsitzende sprach mich an und fragte nach dem ersten Stück, das ich vortragen wollte. Ich sagte ihm, dass ich den ersten Satz der C-Dur-Fantasie von Robert Schumann spielen werde, er nickte, fragte dann aber, wie es um meine Italienisch-Kenntnisse stehe.
    Ich antwortete ihm, dass ich erst seit etwas mehr als zwei Monaten in Italien sei und mich seither bemühe, Italienisch zu lernen. Er lächelte und schaute weiter überlegen lächelnd zur Seite, zu den anderen Juroren. Einen Moment dachte ich, dass sie mich wegen meiner schlechten Italienisch-Kenntnisse nicht nehmen könnten, ich hatte damit nicht gerechnet, deshalb fragte ich noch einmal eigens nach, ob meine zugegeben schlechten Italienisch-Kenntnisse der Grund dafür sein könnten, dass ich nicht aufgenommen würde.
    Da wurde der Vorsitzende der Jury leicht unwillig und sagte: Wir sind nicht zum Reden hier, sondern um zu hören, wie Sie spielen! Das, ha!, das brauchte er gerade mir nicht zweimal zu sagen, nicht zum Reden, sondern zum Spielen sind wir hier, das hörte ich gern, das war ja geradezu ein Leben lang mein

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