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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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heiser oder erkältet und würde in ein paar Tagen wieder reden, so dass man mich jetzt nicht weiter belästigen, sondern schonen müsse. Genau diese Schonung und dieses Drüberwegreden aber war mir am liebsten, denn es stempelte mich nicht ab und ließ mir die Hoffnung, alles könne irgendwann einmal besser werden.
    Am besten aber fand ich schließlich, dass Vater mich immer allein entscheiden ließ, welche Zeitschrift ich wollte, niemals sagte er Nein oder Nimm doch die andere hier, die ist besser , vielmehr kaufte er einfach die, die ich ausgesucht hatte. Es stimmte also, was der Zeitschriftenhändler am Ende unserer Einkäufe sagte: Perfekt! , ja genau, diese Einkäufe waren – anders als all die anderen, die ich durchzustehen hatte – ein einziges Vergnügen und daher wirklich perfekt.
     
    Vom Kiosk mit den vielen Zeitschriften aus gingen Vater und ich dann oft weiter zu einem nahe gelegenen Wirtshaus, jetzt kehren wir ein! , sagte Vater mit einer spürbaren Vorfreude, und dann betraten wir den Vorraum des großen Brauhauses, das Zum Kappes hieß, ja im Ernst, es hieß wirklich so. Anfangs hatte ich nicht verstanden, was das heißen sollte, ich hatte nur manchmal gehört, dass jemand behauptete, etwas sei Kappes, womit er doch anscheinend sagen wollte, etwas sei Unsinn oder der reine Blödsinn. Hieß also das Wirtshaus vielleicht so, weil man dort viel Unsinn oder Blödsinn machte?
    Erst nach einer Weile hatte ich verstanden, dass mit dem Wort Kappes die Unmengen von Kohl gemeint waren, die in diesem Wirtshaus auf großen Tellern zusammen mit dicken, schwitzenden Würsten serviert wurden. Der Geruch von Kohl und Wurst empfing einen auch gleich in dem kleinen Vorraum mit all seinen Stehtischen und den dicht gedrängt um die Tische herum stehenden Männern, zwischen denen wir uns einen Platz suchten. Kaum hatte man den gefunden, kam auch schon ein Mann in einem blauen Wams und einer Lederschürze vorbei, der von den Gästen der Köbes genannt wurde. Der Köbes brachte dem Vater in Windeseile ein Kölsch, alle Gäste in diesem Vorraum tranken Kölsch, eins nach dem andern und meist sehr rasch, auf einen Zug.
    Dieses rasche und ununterbrochene Trinken beobachtete ich genau, ich schaute zu, wie die vielen feuchten Münder sich immer wieder einen kleinen Spalt öffneten, damit der kurze goldgelbe Strahl mit der dünnen, schwankenden Schaumkrone hineinschießen konnte, es handelte sich eigentlich nicht um ein Trinken, sondern eher um ein Stillen, den Durst stillen , so nannten es oft die Männer, und so war es denn auch, ein einziges Leersaugen der kleinen Kölsch-Stangen, ein einziges Zucken und Zittern der leicht geöffneten Lippen, in Erwartung des nächsten Glases.
    Waren schon diese Vorgänge faszinierend genug, so waren die Unterhaltungen es noch mehr, beruhten sie doch auf der Kunst, alle Anwesenden beinahe gleichzeitig in ein einziges großes Gespräch zu verwickeln. Mit offenem Mund lauschte ich, wie sich die Trinkenden zu zweit, zu dritt, über den Kopf des Gegenübers hinweg, durch das ganze Lokal unterhielten, selbst der Mann, der das begehrte Kölsch aus den Kölschfässern zapfte, murmelte ununterbrochen etwas, begrüßte die Neuankömmlinge mit Namen, antwortete auf ein paar Wortfetzen, die er aufgeschnappt hatte, und legte mit einer kurzen, trockenen Bemerkung nach.
    Durch diese ununterbrochene Unterhaltung entstand ein höllischer Lärm, der bald hier, bald da lauter wurde, sich verdichtete, kurz verebbte und dann an den Rändern des Vorraums wieder zunahm, das Ganze glich einer gewaltigen Wortwoge, die in immer neuen Schüben durch den Raum rollte, sich brach, sich wieder aufbäumte und schließlich überschlug. Vater aber beteiligte sich an dieser Woge nicht durch lang ausholende Beiträge, sondern eher durch Nachfragen, kurze Sätze und Bestätigungs- oder Anfeuerungsrufe, vor allem aber hatte er eine Eigenheit, die oft wie eine Krönung der gesamten Wortmusik wirkte, indem es sie zu einem Höhepunkt oder Abschluss brachte: Vater lachte. Es war kein lautes, sondern ein herzliches Lachen, es war, wie ich einmal gehört hatte, ein Lachen aus voller Brust, das von tief innen kam und heranrollte, als säße in diesem tiefen Innern ein tagsüber eingesperrter Fremder, der sich nun endlich nach Kräften austoben durfte.
    In der Wirtschaft konnte ich Männer beobachten, die andere unaufhörlich zum Lachen brachten, selbst aber wenig lachten, es gab auch die, die nur kurz lachten und dann rasch wieder

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