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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Wirtschaften, zu Brauhäusern und Weinstuben mit einer schlichten, regionalen Küche erhalten. Nicht dass ich nur in solchen Wirtschaften etwas trinken und essen würde, das nicht, aber wenn ich eine von ihnen sehe, gehe ich gern hinein und freue mich jedes Mal, wenn ich die vielen, sich überlagernden Stimmen höre. In der Nähe meines römischen Mietshauses gibt es eine große Anzahl dieser einfachen Wirtschaften, viele von ihnen liegen rund um den Markt, so dass man von den Marktständen aus sofort in sie hineinschlüpfen und dann wieder zurück zwischen die Stände gehen kann. Es ist, als gäbe es eine geheime Osmose zwischen den Wirtschaften und den Ständen, die Gerüche jedenfalls verbinden und vermengen sich vom frühsten Morgen an, und wenn ich mich eine Weile in solchen Zonen aufgehalten habe, durchziehen sie auch meine Kleidung, und ich nehme sie mit hinauf, in meine stille römische Wohnung.

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    BISHER HABE ich von meiner Mutter, meinem Vater und unserem gemeinsamen Leben in Köln so erzählt, als habe es außerhalb dieses Lebens zu dritt keine andere Welt gegeben. Man könnte mich fragen, ob das wirklich so war und ob so etwas überhaupt möglich ist – ich kann darauf aber nur antworten, dass es mir heute wirklich so vorkommt, als wäre ich in meinen ersten Lebensjahren wahrhaftig nur mit zwei Menschen in Berührung gekommen und hätte in einer Art verschwiegenem Geheimbund mit nur den notwendigsten Außenkontakten gelebt.
    Das Leben dieses Geheimbundes vollzog sich nach festen Regeln und in einer großen Stille, es war die unheimliche, wie von großer Erschöpfung herrührende Nachkriegsstille der fünfziger Jahre, in denen man jeden Laut, jede Stimme und jeden Klang noch sehr genau wahrnahm, weil diese Stille noch nicht durchsetzt war von fremden, künstlichen Klängen. Es war eine Welt ohne Fernsehen, ja sogar weitgehend noch ohne Radio oder Schallplatte, eine Welt, in der man sich bemühen musste, ein Geräusch zu erzeugen oder die Entstehung von Geräuschen zu veranlassen, eine Welt, in der es also nicht immer schon und dazu noch ununterbrochen Geräusche und Klänge gab.
    Wenn wir frühmorgens die Fenster unserer Wohnung öffneten, um etwas frische Luft hereinzulassen, hörte man höchstens das Zirpen der Vögel, die sich in kleinen Schwärmen in den hohen Pappeln herumtrieben, und manchmal einen einzelnen, vorbeifahrenden Wagen, sonst aber kaum etwas anderes als die Stille selbst, als hielte der gewaltig große Himmel über uns den Atem an oder als wäre die schwere Erde in ein brütendes Schweigen versunken. Diese Stille war immer gegenwärtig und machte sich sofort wieder breit, wenn eines der Einzelgeräusche verebbt war, sie war einfach nicht abzuschütteln, sondern höchstens für Momente zu vertreiben oder zu verdrängen, dann aber setzte sie gleich wieder ein, wie eine überdimensionale Glocke, die sich über das gesamte kleine Leben stülpte.
    Ein kleines Leben, ja genau, so kommt es mir heute vor, als wäre ich in einem Spielzeugland aufgewachsen, in einer großen geräuschlosen Zone, in der man sich nur in den Brauhäusern und Wirtschaften laut unterhielt, während auf den Straßen sehr leise gesprochen oder auch nur geflüstert wurde. Manchmal versuchte ich, diese Straßengeräusche zu identifizieren, ich legte mich vor einem offenen Fenster unserer Wohnung mit dem Rücken und geschlossenen Augen auf den Boden und lauschte angestrengt: was war das?, was war das genau?, wessen Stimme?, wessen Schritte?
    Ich ahnte natürlich noch nicht, wie sehr dieses Lauschen mein Gehör forderte und trainierte, es war ein geradezu ideales Training, um Geräusche und Klänge unterscheiden zu lernen. Später, als man von mir verlangte, die Stimmen eines großen Orchesters zu identifizieren und genau anzugeben, welche Instrumente gerade zusammen spielten, kam mir dieses Training zugute, den Eindruck, eine Art Musikstück zu hören, hatte ich aber damals, in den frühen Kinderjahren, schon.
    Denn zu den damals noch einzeln wahrzunehmenden Klängen und Stimmen gehörte ja auch, dass sie sich ankündigten und dann sehr langsam auftraten, so langsam, dass ich genau verfolgen konnte, wie sie begannen, eine Weile zu hören waren und wieder verschwanden. Immer waren sie zeitlich exakt begrenzt und wirkten daher wie Abläufe mit einer bestimmten Spieldauer, so dass ich zum Beispiel recht genau sagen konnte, wie lange ein Wagen brauchte, um an unserem Haus vorbeizufahren und wieder in der Stille zu

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