Die Erfolgsmasche
Ihr Freund sprang auf und angelte
eine versteckte Bierdose unter dem Bett hervor. »Hier. Trink mal einen Schluck, das beruhigt die Nerven.«
Ich trank und schluchzte und schnaubte ins Handtuch, Tränen, Rotz und Bier tropften auf die Bettdecke, und wir hatten es furchtbar gemütlich.
Irgendwann nutzte ich die Gunst der Stunde und die Gunst der jungen Leute und stieß erstickt hervor: »Ich brauche euch für ein Fotoshooting mit Sebastian Richter! Ihr müsst so tu-hun, als wärt ihr seine Ki-hinder!«
Statt des erwarteten »Spinnst du?«, »Das kannst du dir von der Backe putzen!« oder »Ich glaub, mich streift ein Bus!« kam überraschenderweise: »Für dich machen wir alles!«
»Wir ziehen uns einen Seitenscheitel und tragen meinetwegen auch Lederhose!«
»Und ein ätzendes, uncooles Dirndl, Mama!«
Das Kuckuckskind nickte stumm, aber heftig.
Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass es mich total liebt. Wir nahmen uns in den Arm, und ich schluchzte in sein rosa Kapuzenshirt, das ich immer zu heiß wasche.
Unter Tränen entschuldigte ich mich, dass ich neulich so rüde geschimpft hatte, nur weil es erst um zehn nach eins ins Nest geflogen kam.
»Weißt du, ich hatte auch mal eine Gastmutti und war Kuckuckskind«, sagte ich schluchzend. »Und bei der habe ich nachts um zwei geklingelt. Sie hat mir aufgemacht und überhaupt nicht geschimpft! Sie war die süßeste und liebste und netteste … Und stell dir vor, ich habe sie heute wiedergefunden, nach zwanzig Jahren!« Ich heulte mir die Augen aus dem Kopf.
»Passt scho«, sagte das Kuckuckskind.
»Und ich liebe ihren Sohn«, heulte ich noch viel lauter. »Aber der liebt mich nicht! Weil ich alles falsch gemacht habe!«
Die vier tätschelten und trösteten mich, und ich trank noch ein zweites Stiegl, das der junge Bursche unter dem Bett hervorzog. Danach ging es mir plötzlich besser.
Ich entschuldigte mich für meine hysterischen Anfälle, was nasse Handtücher auf dem Boden, volle Aschenbecher in der Küche, halb ausgetrunkene Kakaogläser im Wohnzimmer und Schokoladenpapierchen auf dem weißen Teppich anbelangt. Auch für mein überflüssiges Gezeter wegen der Wasserpfeife und des Koitus interruptus im Krankenhausbett habe ich mich entschuldigt. Ich gab reumütig zu, ein schrecklich spießiger Spielverderber zu sein. Das Kuckuckskind nickte nachsichtig und tätschelte mir tröstend den Oberarm. Und mein eigenes Rabenkind tätschelte mitsamt Kanüle im Flügel auch mit.
So habe ich die streng riechenden Nesthocker weichgeklopft für das Fotoshooting, und sie haben perfekt mitgespielt, den ganzen Nachmittag. Ich habe natürlich die strenge Managerin gegeben, die ein wachsames Auge auf Sebastians Privatsphäre und die seiner Kinder hat. Das Kinderzimmer - sprich Charlotte Vitals Schlafzimmer, Nähzimmer, Bügelzimmer - durfte also nicht betreten werden. Nur der Wohnbereich und die Küche. Vorher hatten wir noch Fotos und Bastelwerke von meinen Kindern aufgehängt und zwei Dutzend Paar Markenturnschuhe und Kapuzenshirts im Flur verstreut. Charlotte Vital hat sich darüber kaputtgelacht: »Endlich mal junges Leben in meinem alten, viel zu aufgeräumten Haus! Ich war ja auch alleinerziehend, wissen Sie! Was, Richard? Auf einmal sind wir eine richtige Familie! So einen Haufen Enkel habe ich mir immer gewünscht!«
Richard war der absolut souveräne alleinerziehende Vater. Und hat unermüdlich mit seinen geliehenen Kindern und dem geliehenen Hund in die Kamera gelächelt. Es hat wirklich
so ausgesehen, als wären sie ein Herz und eine Seele. Als würden sie sich wirklich mögen.
Die Kinder waren tatsächlich begeistert. Richard ist ganz locker und selbstverständlich mit ihnen umgegangen. Mit Greta hat er sogar Klavier gespielt. Vierhändig. Er meinte, das sei fürs erste Mal wirklich erstaunlich gut gegangen.
»Jedenfalls besser als mit Elviras Tieren«, hat Charlotte Vital lachend zu mir gesagt. »Er hat sich immer Kinder gewünscht, wissen Sie. Mit denen man richtig reden und Musik machen kann. Ihre Kinder sind wirklich hellwache, intelligente junge Geschöpfe. Hut ab, das haben Sie toll hingekriegt. Sie können stolz auf sich sein, Sonja!«
Da war ich ganz verlegen. Sollte ich … einmal etwas richtig gemacht haben?
Einen Moment lang musste ich wieder an Lutz in der Gondel denken: »›Helm ab‹, ein alleinerziehender Vater …«
Und nun … Anerkennung! Als Frau! Von einer Frau!
Richard hat jedenfalls toll mitgespielt. Am Klavier und …
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