Die Erfolgsmasche
halten muss, das allein nicht überlebensfähig ist. Der soll mich mal kennenlernen!
»Ich möchte Sie auf ein Bier einladen«, sage ich selbstbewusst. »Hier um die Ecke ist gleich meine Stammkneipe.«
Wir fallen ins »ProBier’s« ein.
Um diese Zeit ist dort noch nicht viel los. An der Bar hängen wie immer Rainer, der Weiner, der Vollhorst und dieser
kleine Typ mit dem Ziegenbärtchen ab, der mir immer böse Zettel hinter den Scheibenwischer meines Kleinwagens klemmt, wenn ich wieder aus Versehen einen halben Millimeter zu nah vor seiner Garage geparkt habe.
Die üblichen Verdächtigen.
Rainer rutscht freudig überrascht zur Seite, als ich mit meinen Einkaufstüten einmarschiere, doch die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben, als er sieht, dass ich in männlicher Begleitung bin. Der Vollhorst ist wie immer schon voll und beachtet mich nicht. Das Ziegenbärtchen macht sich am Zapfhahn zu schaffen.
»Ah, die Frau Nachbarin! Welch seltene Ehre!«
»Aber sie hat ja’nen Kerl dabei«, heult Rainer, der Weiner, der wieder vollkommen in sich zusammengesackt ist.
Zielstrebig schiebe ich den »Kerl« im dunkelblauen Tuchmantel, auf den »gediegener Herr« viel besser passt, ins Hintere der Bar. »So. Hier sitzt man eigentlich ganz nett. Was möchten Sie trinken?«
»Nur ein stilles Mineralwasser bitte.«
Wie jetzt? Im Ernst? Gibt es denn keinen Mann, der den goldenen Mittelweg geht? Die einen hängen volltrunken über dem Tresen, und die anderen trinken, wenn sie eingeladen werden, »nur ein stilles Mineralwasser bitte«? Kann man denn nicht ein Glas Wein bestellen oder etwas, das halbwegs Stil hat?
Das Ziegenbärtchen beugt sich fragend zu uns herüber. Es hat sich noch nicht mal die Mühe gemacht, an unseren Tisch zu treten und »Sie wünschen bitte?« zu sagen.
»Ein stilles Mineralwasser und ein großes Bier, bitte.«
Als kurz darauf das Ziegenbärtchen das Wasser vor mich und das Bier vor Siegfried hinstellt, vertausche ich stillschweigend die Gläser.
Dieses Rollendenken! Einfach beschämend.
»So, und das ist also Ihre Stammkneipe.« Siegfried sieht sich halb befremdet, halb interessiert in dem schummrigen Schuppen um.
»Na ja, so oft bin ich auch nicht hier.« Was allein schon dadurch bewiesen wäre, dass Ziegenbärtchen das Wasser vor mich hingestellt hat. Würde ich hier öfter herkommen, wüsste der Wirt, was sein Stammgast trinkt.
»Aber?!«
»Diese Kneipe liegt quasi direkt neben meinem Schlafzimmerfenster. Und jetzt raten Sie mal, was ich so zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens live erleben darf.«
»Ach je«, sagt Siegfried und nippt an seinem Wasser. »Schlafen Sie denn bei offenem Fenster?«
»Na, Sie denn etwa nicht?«
»Bei einem Spaltbreit offenen«, sagt Siegfried und zeigt mit den Fingern, wie weit sein Schlafzimmerfenster offen steht. Eine Bierflasche passt ungefähr dazwischen.
»Da würde ich ersticken.«
»Dafür haben Sie offenbar entsetzlichen Lärm?«
»Und ob!« Ich beuge mich vertraulich über den kleinen Zweiertisch, an dem wir wie beim Speed-Dating sitzen:
»Um zehn Uhr abends läuten zum letzten Mal die Kirchenglocken. Danach könnte man glockentechnisch gesehen ganz schnell einschlafen, denn erst um sechs Uhr früh setzt das Geläut wieder ein. Was aber die Kirchenväter nicht bedacht haben: Genau um zehn strömen die ersten Besucher in die Times Bar und ins ›ProBier’s‹. Und dann geht es rund! Im Sommer stehen sogar noch Bierbänke und Tische draußen.« Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. »Dann kommen die Studenten und die Touristen und lärmen, schreien und singen die ganze Nacht. Dann wäre da noch die ohrenbetäubende
Musik aus zwei verschiedenen Kneipen und dem Studentenwohnheim gegenüber, vor dem immer besonders furchterregende Gestalten stehen, in knöchellangen schwarzen Ledermänteln und Springerstiefen. Mein Sohn sagt, die heißen Gothics oder so. Es können aber auch Normannen sein. Jedenfalls würde ich es nie wagen, so einem grün gefärbten Haarschopf oder einem mit Sicherheitsnadeln gespickten Gesicht freundlich zu sagen, dass ich ganz gern weiterschlafen würde.«
Siegfried lächelt mich versonnen an.
»Um drei Uhr kommen die ersten Damen des horizontalen Gewerbes ›nach Hause‹, sie klappern auf ihren hohen Absätzen über den Asphalt und klopfen dann hier an die Tür.« Ich werfe Ziegenbärtchen einen verächtlichen Blick zu. »Der vermietet hier Tageszimmer. Jedes Mal, wenn eine klopft, schrecke ich auf, weil
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