Die Erfolgsmasche
raffen ihre langen Kleider und tragen schwarze Notenmappen unter dem Arm. Mein Blick irrlichtert zurück zu dem Bus. Woher … Wieso … Der Bus hat ein Bregenzer Kennzeichen! Dann ist das ein Gastchor, der den Festspielchor verstärkt. Ja! Natürlich! Das müssen die Damen des Bregenzer Festspielchores sein! Hatte ich das nicht ganz klein gedruckt auf dem Plakat gelesen? Die Kolleginnen vom Salzburger Festspielchor kommen doch nicht mit dem Bus! Die wohnen doch hier! Ja, genau, da kommen noch andere.
Sie strömen aus verschiedenen Richtungen herbei. Eine ganze Wolke von schwarz gekleideten Chordamen wälzt sich nun in Richtung Künstlereingang. Wie ein Insektenschwarm.
In meinem Kopf spielen sich ungeheuerliche Szenen ab: Ich könnte … Ich könnte doch einfach … Nein, das ist ja Wahnsinn. Wenn ich erwischt werde! Aber wenn nicht … Sie sehen doch alle gleich aus. Das ist meine Chance! Ich bin eine Chordame! Optisch falle ich nicht auf. Ich mische mich ganz unauffällig unter sie.
Zwei verschiedene Damenchöre. Aus zwei verschiedenen Festspielhäusern. Sie kennen sich nicht. Man wird denken, ich gehöre zum jeweils anderen Chor. Das könnte klappen! Ich laufe unauffällig mit den plaudernden Damen durch den Künstlereingang. Dabei zittern mir so sehr die Knie, dass mein langer Rock vibriert. Sie müssen es doch merken! Sie müssen es mir doch ansehen! Doch nichts passiert.
Niemand hält mich auf und schreit: »Halt! Sie gehören nicht dazu!« Oder: »Dienstausweis!« Oder, was mein persönlicher Albtraum wäre: »Vorsingen!«
» Schwarze Käfer, uns umgebt nicht mit Summen! Macht euch fort! «, trällert eine selbstverliebt, und die andere, die sich bei ihr eingehängt hat: » Nachtigall, mit Melodei sing in unser Eiapopei! …« Andere stimmen mit ein, und ich bekomme eine wohlige Gänsehaut. Das habe ich damals im Sommerkurs im Chor mitgesungen! Ich war sogar der erste Solo-Käfer! » Nun gute Nacht, mit Eiapopei! «, singe ich ganz unauffällig mit. Die Musik ist sofort wieder da, Ton für Ton. Das Unterbewusstsein schüttet sie großzügig aus seinem Füllhorn! Ich bin … eine von ihnen! Sie merken es nicht! Soll ich mich bei einer einhängen? Nein, das wäre vielleicht doch zu dreist. Aber ich kann es noch! Es geht noch! Genau wie bei den Klavierstückchen für Anfänger! Mir wird heiß. Ob vor
Begeisterung oder Angst, kann ich nicht sagen. Soll ich jetzt einfach …
»Einsingen im Chorsaal in der fünften Etage«, ruft ein Pförtner, der von dem summenden Insektenschwarm fast niedergetrampelt wird. »In den Aufzug passen immer nur zwanzig, der Rest geht zu Fuß!« Die Wolke der schwarzen Käfer überrollt ihn fast, er zieht sich in seine Pförtnerloge zurück. Ich laufe einfach mit. Ich renne!
»Es passen noch zwei rein«, schreit eine, als ich gerade die Treppenstufen in Angriff nehmen will, und hält ihren Fuß vor die Lichtschranke.
Ehe ich michs versehe, werde ich von einer anderen, besonders Dicken, in den Aufzug gedrängt. Nun stehe ich da, mit zwanzig Chordamen, und senke meinen Blick verschämt zu Boden. Sie müssen doch merken, dass ich mich hier reingemogelt habe! Dass ich nicht zu ihnen gehöre!
»Der Chordirektor von denen ist ja soooo süß«, wispert eine, »habt ihr den schon gesehen?«
»Wieso?«, ätzt die Dicke, die mich in den Aufzug geschubst hat. »Findet ihr unseren Eckhard etwa nicht süß?«
Allgemeines Gelächter ist die Antwort.
»Du musst wissen, unser Eckhard ist alt und fett«, vertraut mir die Dicke an, die mich natürlich für eine der Salzburgerinnen hält. Mein Herz klopft wie verrückt.
»Und launisch und versoffen. Aber wir lieben ihn.«
»Jedenfalls einige von uns!« Großes Gelächter, Insider-Sprüche eines eingespielten Teams, das über jahrelange gemeinsame Erinnerungen verfügt. Ich kapiere rein gar nichts. Ich wünschte, ich wäre eine der Salzburgerinnen. Dann wäre ich täglich in seiner Nähe.
»An wen erinnert mich euer Chordirektor bloß?«, fragt mich die Erste. »Der ist ja so was von …«
»Moment«, ruft eine große schlanke Blonde. »Kenne ich den nicht aus irgendeiner Zeitung oder so?«
Mir bleibt die Luft weg.
»Hat der nicht Ähnlichkeit mit einem Schauspieler? Mit diesem Typen aus der Kaffeewerbung?«
»Nein, der sieht genauso aus wie der Kolumnist in Frauenliebe und Leben !«, ruft die große schlanke Blonde.
Ich reiße die Augen auf.
»Dieser alleinerziehende Vater?«, schlussfolgert eine Schmallippige mit asymmetrischem
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