Die Erfolgsmasche
schnell. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich jetzt handeln muss. Bevor mir dieser göttliche Richard entwischt.
21
Das Festspielhaus liegt in der Abendsonne. Ich sitze im »Triangel«, das heißt draußen auf einer der Bänke, und halte mich an meinem Bierglas fest. Das »Triangel« ist die angesagte Kneipe direkt gegenüber dem Festspielhaus, und hier verkehren Leute wie Anna Netrebko, Jürgen Flimm und Ricardo Muti. Oder eben so kleine Gaffer wie ich.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es mir gelingen sollte, eine Karte für das Konzert zu ergattern, habe ich vorsorglich mein langes schwarzes Kleid angezogen. Manchmal stehen draußen Leute, die ihre Karte zu Schwarzmarktpreisen verscherbeln wollen. Ich habe mir selbst ein Limit von zweihundert Euro gesetzt.
Wobei ich noch keinen Plan habe, wie ich in den Künstlerbereich des Festspielhauses gelangen soll. Nervös trommle ich mit den Fingern auf die Tischplatte und beobachte, was um mich herum geschieht.
Die Kellner umschwirren die Festspielgäste und Möchtegerne wie Motten das Licht. Neben mir sitzt ein Ehepaar in Lodentracht, das einen Dalmatiner dabeihat. Die wollen wohl auch »nur gucken«. Die ältere Dame trägt eine rot-weiß gestreifte Bluse unter einem altrosa Trachtenjanker und isst »Reinanke mit Bärlauch-Erdäpfelsalat«. Der gut erzogene Dalmatiner will davon offensichtlich nichts abhaben, er liegt unter dem Tisch und fixiert den Künstlereingang - genau
wie ich! Doch wir sind zu früh dran. Ich betrachte unauffällig den Gatten. Er trägt ein blau-weiß gestreiftes Hemd unter grünem Trachtenjanker.
Pferdegetrappel lenkt mich von meinen Beobachtungen ab: Prächtige Kutschen mit schwarzen Kaltblütern ziehen am Festspielhaus vorbei.
Ein japanisches Touristenpaar schlendert ermattet auf Flipflops vorüber, während ein einzelner Salzburger Philharmoniker mit lässig über die Schulter geworfener Frackjacke dem Künstlereingang entgegenstrebt. Er hat einen Geigenkasten dabei.
Der Dalmatiner ist aufgestanden und schüttelt sich. Sofort bringt ihm der freundlich lächelnde Kellner einen Wassernapf. Das Trachtenpaar neben mir spricht tiefsten Ruhrpottslang.
Jetzt schiebt sich ein schwuler Stadtführer samt Reisegruppe ins Bild. Ich höre ihn näseln: »Gegründet wurden die Festspiele im Jahr 1917. Der Wiener Regisseur Max Reinhardt rief sie ins Leben. 1920 gab es zum ersten Mal Hugo von Hofmannsthals ›Jedermann‹ ! Heute gibt es drei Spielstätten: das Große Festspielhaus, die Felsenreitschule und das neue Haus für Mozart. Folgen Sie mir jetzt bitte zur Kirche der Franzsiskaner …« Die Touristen trappeln weg.
Währenddessen zahlen und erheben sich am Nebentisch zwei Paare, die offensichtlich Karten für den Sommernachtstraum haben. So langsam geht es los! Neue Gäste, denen man das Geld, nicht aber das Glück ansieht, laufen vor dem »Triangel« auf. Die Bussi-Bussi-Gesellschaft umarmt sich, während Kameraleute herbeispringen und auf sie draufhalten.
»Darf ich vorstellen«, zirpt nun eine besonders Dünne im Seidendirndl, »das sind Herr und Frau Doktor Wichtig vom Verein der Freunde und Förderer, Graf und Gräfin Selbstverliebt,
Baronin und Baron von Aadabei, Herr und Frau Neureich aus Stuttgart. Bitte behalten Sie doch Platz!«
Der Dalmatiner, der bis jetzt so artig war, bellt nervös und zerrt an seiner Leine.
Im Hintergrund schlendert ein kleiner Junge in Krachlederner vorbei und lässt sein Jo-Jo auf- und abhüpfen.
Inzwischen wird von dem Fernsehteam ein Mikrofon, das aussieht wie ein Langhaarterrier, über die adeligen Herrschaften gehalten. Diese lachen und jubeln ganz aufgekratzt, während sie mit ihren Begrüßungen fortfahren. Hauptsache, das ist heute Abend in »Seitenblicke« zu sehen.
Doch ich lasse mich nicht ablenken und behalte den Künstlereingang genau im Blick. Die Mitglieder des Orchesters trudeln nach und nach ein, und ich möchte an den eisernen Gitterstäben rütteln und rufen: »Ich will da rein!« Wenn ich doch nur irgendjemandem seine Karte abkaufen könnte! Jemandem, der gar nicht freiwillig in dieses Konzert will! Der diese Erste-Sahne-Mucke unter Ricardo Muti gar nicht zu schätzen weiß! Irgend so einem Bäuerlein, das viel lieber in der Kneipe sitzen würde! Suchend blicke ich mich um. Ein Bus hält direkt vor dem Künstlereingang. Die Türen öffnen sich, und ihnen entsteigen … lauter schwarz gekleidete Damen! Ist das der … Das ist der Chor, der Festspielchor! Die etwa vierzig Damen
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