Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erfolgsmasche

Titel: Die Erfolgsmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
auffällig anstarre. Ich sollte mich lieber in die Noten vertiefen. Aber ich habe keine! Soll ich bei meiner Nachbarin reinschauen? Aber dann wird auffallen, dass ich nicht dazugehöre! Also begnüge ich mich damit, meinen Traummann weiterhin anzustarren.
    Er spielt die rasenden Pizzicati mit einer Präzision, dass mir ganz anders wird. Nie im Leben werde ich diesen Mann dazu kriegen, mit mir nach Hamburg zu fahren und so zu tun, als hätte er für Tom Konrad ein Musical geschrieben. Das ist total unter seinem Niveau! Dieser Mann hier ist ein griechischer Gott, ein … Genie! Tom Konrad ist ein alter, Toupet tragender Schlagerheini! Oh Gott! Wieso habe ich dieses Foto gekauft? Ausgerechnet dieses Foto? Was habe ich mir bloß dabei gedacht?
    Oh. Unser Einsatz. Natürlich. Die Rothaarige neben mir fängt an zu brummen: »Nachtigall, mit Melodei sing in unser Eiapopei …«
    Ich blöke mit. Irgendwie pendelt meine Stimme sich ein. Habe ich damals nicht irgendwie höher … im Sopran oder so? Die Rothaarige wirft mir einen irritierten Seitenblick zu. Oh, Entschuldigung. Ich glaube, ich bin eine Oktave oder zwei zu hoch geraten.
    Richard hebt bremsend die linke Hand, weil ich in meinem Übereifer plötzlich zu schrill und zu laut bin. Er schüttelt ganz leicht den Kopf, sein eben noch so verklärtes Lächeln verebbt, und mir schießt die Schamesröte ins Gesicht. Hat er
gemerkt, dass ich gar nicht dazugehöre? Doch er rudert schon wieder mit den Armen, lächelt die Chordamen aufmunternd an und scheint völlig in der Musik aufzugehen.
    Seine Finger erinnern mich an sehnige Balletttänzer, aber auch an flatternde Schmetterlinge. Sich vorzustellen, dass er mit diesen Fingern mein Gesicht streicheln könnte … oder womöglich noch etwas anderes … Sonja! Sitz! Klappe!
    Längst ist unsere kleine Strophe vorbei. Richard zaubert das Zwischenspiel, ich starre ihn an, plötzlich schiebt er seinen Unterkiefer schelmisch vor und gibt den Einsatz für die zweite Solistin, die ich inzwischen vor Eifersucht erschlagen könnte. Sie singt zwar leider auch gut, sieht aber wie eine alternative Gesundheitsschuh-Trägerin aus mit ihrem naturbraun belassenen Nicht-Haarschnitt der Marke »Ich liebe Johann Sebastian Bach und sonst niemanden«.
    Auch sie lächelt er aufmunternd an, was ich kaum ertrage. Er unterstützt sie mimisch und gestisch, als wollte er ihre feine, zirpende Stimme wie ein Insekt vorsichtig zum Fenster tragen, um es dort in die Freiheit zu entlassen. Seine Lippen zucken, er imitiert das nervöse Flattern der Käfer, Bienen und Motten, die in dieser Nacht im Mondlicht herumflattern. Er lächelt verzückt, scheint selbst im nächtlichen Wald zu sein. Jetzt springt er halb auf, als würde er mit den Elfen tanzen.
    Mein Gott, ich bin unsterblich in ihn verliebt. So wie alle anderen in diesem Raum auch. Und das ist wirklich das Letzte, was mir passieren sollte! Ich starre Richard an und lasse meine Gedanken eine Schlacht austragen. Soll ich es wagen, gleich wirklich auf die Bühne zu gehen? Auf die Bühne des Salzburger Festspielhauses? Oder soll ich ihn vorher ansprechen? Mich outen? Ist das hier der richtige Ort und Zeitpunkt? Ich halte die Anspannung kaum noch aus. Ich glaube, ich kriege Schüttelfrost.

    »Liebe Damen vom Chor, es hat zum dritten Mal geklingelt«, kommt plötzlich eine knarrende Stimme aus dem Lautsprecher. »Orchester sitzt. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein!«
    Richard breitet die Arme aus, macht eine dankende und gleichzeitig aufmunternde Geste: »Sie werden das wundervoll meistern, meine Damen. Viel Glück und toi, toi, toi!«
    Er dreht sich um und verlässt im Eilschritt den Raum.
    Oh Gott! Er ist weg! Einfach so!
    Soll ich hinter ihm herlaufen?
    Einem Impuls folgend, renne ich zur Tür, stolpere noch über eine Treppenstufe und klammere mich Hilfe suchend an eine hölzerne Bank. Eine Notenmappe fällt zu Boden.
    »Entschuldigung«, stammele ich, hebe sie auf und haste weiter. Doch der Ausgang ist schon von einer Traube schwarzer Chordamen verstopft. Wie die Dohlen vor einem Mauseloch stehen sie da und krächzen: »Aufstellen! Zweite Reihe zuerst! Gastchor hinten oder vorne?«
    Das löst erst mal eine heftige Diskussion aus. Die eine Hälfte ist für »Gastchor vorne«, die andere für »Gastchor hinten«! Es wird abgestimmt.
    Die Maus ist entwischt!
    Plötzlich stellen sich alle Damen hintereinander auf. Sie setzen sich in Gang, um auf die Bühne zu gehen. Ich versuche, mich irgendwo unauffällig

Weitere Kostenlose Bücher