Die Erfolgsmasche
dem Kinn auf die Notenblätter, an denen schon ein paar Gänse knabbern.
Stille. Dann: »Sie sehen ja, was hier los ist.« Richard senkt den Kopf und vergräbt ihn zwischen den Händen. Ich möchte ihm über seine dichten schwarzen Haare streichen und ihm Trost spenden!
Dabei habe ich ein Attentat auf ihn vor! Wie kann ich ihm nur sagen, dass ich sein Foto benutzt habe, um meine Karriere aus dem Dreck zu ziehen?!
»Elvira schwärmt von Ihnen«, sagt Richard, während er die Hände wieder sinken lässt. Er schaut mich mit seinen umwerfend braunen Augen dermaßen aufrichtig an, dass ich den Blick senken muss. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Was tue ich? Was um aller Welt richte ich hier an?!
»Wenn ich Ihnen ein paar Dinge erkläre, werden Sie die Gesamtsituation besser verstehen«, sagt Richard, nachdem er den Kopf in den Nacken gelegt und ziemlich lange in die Luft gestarrt hat.
»Sie müssen nicht …«, hebe ich beklommen an, aber Richard hebt die Hand, als wollte er seinen Chor zum Schweigen bringen.
»Elvira und ich, wir …« Richard verstummt und legt wieder den Kopf in den Nacken. Hilflos starrt er in den Himmel, als erwarte er von dort weitere Regieanweisungen. »Wir haben uns in gewisser Weise …«
»Auseinandergelebt«, helfe ich ihm spontan. Ich bin ganz erschrocken, dass ich ihm ins Wort gefallen bin. Noch erschrockener bin ich, als ich merke, dass ich einen struppigen Köter kraule, der mich schon seit Längerem anstupst. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und versuche zu begreifen, in welch aberwitzige Situation ich mich begeben habe.
»Elvira hat sich so sehr Kinder gewünscht«, beginnt Richard plötzlich. »Aber es hat nicht funktioniert. Dabei hatten wir anfangs wirklich eine schöne Zeit - hier auf dem Gut Teufelberg, das sie von ihrem Vater geerbt hat. Es war das reinste Paradies. Ich habe geübt und komponiert, die ganzen Künstler von den Festspielen waren bei uns zu Gast, wir haben Mittagessen gegeben und Partys gefeiert … Die Partys der Baronin von Berkenbusch waren legendär ….« Er blinzelt eine Träne weg. »Na ja, und irgendwann hat Elvira diese verrückten, übertriebenen Muttergefühle für Tiere entwickelt. Sie fing an, von sich als ›Mama‹ zu sprechen und von mir als ›Papa‹. Ständig sollte ich für die Tiere Klavier und Geige spielen und sie schließlich auch noch ›unterrichten‹.« Beim letzten Wort malt er Gänsefüßchen in die Luft.
Er muss schlucken und schaut mir direkt in die Augen: »Ich weiß nicht, ob Sie wirklich Klavierlehrerin sind, und will es auch gar nicht wissen. Aber irgendwann habe ich plötzlich gemerkt, dass ich dieses kranke Spiel nicht mehr mitspielen kann. Dass ich nicht für ein Schwein Geige spielen will oder für einen Esel Klavier und dass ich nicht für ein Pferd ein Geburtstagslied komponieren will oder für eine Gans eine Lege-Hymne …« Seine Stimme klingt verzweifelt. Er fährt sich mit beiden Händen über die Schläfen und vergräbt seine Hände in seinen dichten dunklen Haaren. Ich widerstehe dem plötzlichen Impuls, ihn an mich zu ziehen.
Und ich dachte immer, eine Mutter von pubertierenden Kindern zu sein, sei anstrengend!
Richard fängt sich wieder. Er blinzelt erneut eine Träne weg und sieht mich an: »Ich habe Elvira wirklich geliebt. Sie hatte Ideale. Sie ist so sozial. Sie hat hier etwas Großartiges aufgebaut. Sie hat es sogar geschafft, aus diesem Gnadenhof eine Touristenattraktion zu machen. Es gibt keinen sogenannten ›Promi‹« - wieder malt er Anführungszeichen in die Luft -, »der nicht medienwirksam auf Gut Teufelberg ein Tier gestreichelt und damit sein Image aufgebessert hat. Sie ist im Grunde eine geniale Geschäftsfrau. Aber jetzt übertreibt sie es wirklich.« Er presst die Lippen zusammen und sucht verzweifelt nach den richtigen Worten. »Keine Ahnung, warum ich Ihnen das alles erzähle … aber Elvira mag Sie sehr, Sie tun ihr gut, Sie nehmen sie ernst, geben sich geduldig mit ihrer weltfremden Art ab. Sie hat zum ersten Mal wieder Spaß am Leben, seit ich einfach ›abgehauen‹ bin …« Wieder diese Gänsefüßchen in der Luft. Er unterbricht sich erneut und schaut mich fragend an: »Das tun Sie doch, oder etwa nicht?«
Mir schießt das Adrenalin in die Blutbahn. »Ähm … ja!«, beteuere ich und hasse mich dafür. Viel lieber hätte ich gesagt: »Mensch Alter, spring in meinen Wagen und hau mit mir ab! Ich hab ganz andere Dinge mit dir vor!«
»Sie sind also …« Er schaut
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