Die Ernaehrungsfalle
Menschen nicht denkbar«. Teuber fordert unabhängige Untersuchungen über die Wirkungen der neuen Joghurts, Milchdrinks, Würste, →Brote . Denn »solange die allermeisten Studien von den Herstellern der Probiotika finanziert werden, kann man gewisse Interessenkonflikte der bearbeitenden Wissenschaftler nicht ausschließen«. Selbst Ärzte sind skeptisch. Wolfgang Graninger etwa vom Allgemeinen Krankenhaus in Wien meint, ein einzelner Keim in einem Milieu von Hunderten anderer Bakterienfamilien im Darm könne beim besten Willen keine Wirkung entfalten: »Es ist blöd. Die Verabreichung eines solchen Keimes macht keinen Sinn. Sie können nicht die gesamte Flora von 200 bis 300 ›Pflanzen‹ im Darm mit einem Bakterium ›aufforsten‹. Das ist absolute Volksverblödung.« Die Verbraucherorganisation Foodwatch verlieh den »Goldenen Windbeutel 2009«, den »Verbraucher-Preis für die dreisteste Werbelüge«, an das Danone-Produkt Actimel (Slogan: »Actimel activiert Abwehrkräfte«). Foodwatchs Begründung: »Actimel schützt nicht vor Erkältungen - es stärkt das Immunsystem nur ähnlich gut wie ein herkömmlicher Naturjoghurt, ist aber vier Mal so teuer und doppelt so zuckrig. Die Werbung von Danone ist ein großes probiotisches Märchen.«
Gerade die Verabreichung von Bakterien an kleine Kinder ist sehr umstritten. Weil das Zusammenwirken der 500 verschiedenen Bakterienarten im Darm und die mögliche Verwandlung von »guten« Bakterien in »böse« Krankheitserreger von den Forschern noch nicht zufriedenstellend geklärt sind, raten manche Experten zur Vorsicht. Denn bei einer Untersuchung mit neugeborenen Mäusen, an die Bakterien vom Typ Lactobacillus rhamnosus GG verfüttert wurden, waren unerwartet viele Todesfälle aufgetreten. Auch bei Menschen kommen Schäden vor. Bei einer älteren Finnin lösten die gleichen probiotischen Bakterien einen Leberabszess aus. Die Zeitschrift Clinical
Microbiologiy and Infection hatte, nachdem die ersten Berichte über Entzündungen der Herzinnenhaut (Endokarditis) erschienen waren, sogar vorgeschlagen, →Warnhinweise auf probiotischen Erzeugnissen anzubringen, die Bakterien vom Typ Lactobacillus rhamnosus enthalten, um Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist oder die einen entsprechenden Herzfehler haben, auf die möglichen negativen Folgen aufmerksam zu machen. Milupa, der →Säuglingsnahrungshersteller , hat sich dafür entschieden, diese Bakterien aus dem Verkehr zu ziehen. Das Milupino Kinder-Trinkfrühstück »Schoko«, das bislang laut Packungsaufschrift die »probiotische Kultur L. rhamnosus« enthielt, wird nun mit veränderter Rezeptur angeboten. Klaus P. Schaal, Professor für Medizinische Mikrobiologie in Bonn, neigt jedenfalls zur Zurückhaltung gegenüber den Rhamnosus-Bakterien: »Ich würde das meinen Kindern nicht geben.«
Pionier beim bakteriell verstärkten Essen ist Nestlé. Die Firma hat den Joghurt LC1 erfunden, der das Darmgeschehen positiv beeinflussen soll, und damit große Erfolge gefeiert. Davon beflügelt, hat die Firma eine ganze Reihe von Erzeugnissen mit Bakterienzusätzen auf den Markt gebracht. Sie hat in ihren Forschungslabors sogar ein Pulver entwickelt, das speziell auf Schwangere und Stillende zugeschnitten ist: Pro Natal. Es bietet der werdenden Mutter die »Komplettlösung gegen Ernährungsdefizite«. Denn es enthalte die »optimale Kombination an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen«, Nährstoffe wie →Folsäure , Jod, →Eisen und Magnesium sowie »natürliche Bifiduskulturen« des Typs Bifidobacterium Lactis BL. Diese Bakterien, die Nestlé auch in die Babymilch Neslac mischt (in der Schweiz als Junior-Milk Bifidus erhältlich) sind nach Auskunft des Unternehmens vollkommen unbedenklich, ausreichend getestet und in ihrer Wirkung nachweislich positiv. Schäden seien nicht zu befürchten. Zahlreiche Untersuchungen, auch unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus dem Hause Nestlé, sollen die positiven Wirkungen belegen. Der emeritierte Mikrobiologe Professor Teuber aus Zürich hingegen ist auch hier skeptisch, ob Nestlés Extrabakterien wirklich gut
sind fürs Kind. Denn normalerweise kommt ein Baby ganz ohne Darmbakterien zur Welt. Es erwirbt von der Mutter, den Geschwistern und aus der Umgebung all jene Bakterien, die es braucht, um die Speisen zu verarbeiten. »Ich frage mich, ob der Nestlé-Bifidus besser ist als der von der Mutter«, sagt Teuber: »Mir wär ein Bakterium, das ich von meiner Mutter bekomme,
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