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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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trägst.
    Aber James war sich in Wirklichkeit gar nicht sicher, ob er das nur geträumt hatte. Denn er war nicht der Typ, der besonders viel Fantasie hatte. In der Hauptschule, wenn er im Englischunterricht einen Fantasieaufsatz schreiben musste, hatte er auf seine Bleistiftspitze gestarrt, bis ihm die Augen schmerzten. Er hatte sich immer schon mehr für die tatsächliche Vergangenheit interessiert. Und am Ende der Stunde hatte er sein Blatt abgegeben. Mit einem einzigen Satz darauf. Da stand: Mir fällt nichts ein.
    Aber wenn es um Geschichte oder um Naturwissenschaften ging, konnte James in fünfzehn Minuten zwei Seiten schreiben. Ohne viel nachzudenken. Er war einfach zu analytisch, dachte zu sehr mit seiner linken Gehirnhälfte, um sich für Gespenster oder Science Fiction und diesen ganzen Kram zu interessieren. Von einer Vogelscheuche, die von Pflanzen überwachsen war und grüne Augen hatte, ganz zu schweigen. So viel dazu.
    Trotzdem ertappte er sich dabei, wie er den vorübergehenden Menschen in die Augen blickte und nach einem grünen Leuchten suchte.
    Tante Mayzie amüsierte sich in der Zwischenzeit königlich. Sie unterhielt sich mit den Menschen und fragte die Verkäufer über ihre Produkte ein Loch in den Bauch. Sie gingen bei den Seifenverkäufern, den Tabakhändlern und den Steakgrillern vorbei. Ein alter Mann, der eine Feuerwehrmannshose und eine dunkle "NYPD" Baseballkappe trug, webte aus braunen Zweigen einen Korb. Eine Frau mit teigigem Gesicht stapelte am nächsten Verkaufsstand, der so breit war wie ein Lastenaufzug, kanariengelben Stoff auf ihren Verkaufstisch.
    »Was werden Sie verkaufen, liebe Frau?«, fragte Tante Mayzie und beugte sich auf ihren Krücken vor, wobei sie ihr kürzeres Bein abwinkelte.
    »Wir sind eine Gärtnerei, aber sie können bei uns auch Blumenarrangements bestellen. Hochzeiten, Begräbnisse, solche Sachen eben. Wollen Sie unsere Visitenkarte?«, sagte die teigige Frau ohne aufzublicken.
    James blickte sich um. Das Wort "Blumenarrangement" hatte in ihm einige unerwünschte Gedanken aufkommen lassen. Er schaute auf die Kronen der Bäume, die die Hauptstraße säumten und erwartete, dass eine menschengroße Spinne herabfallen würde.
    »Bei mir gibt’s in der nächsten Zeit weder ein Begräbnis noch eine Hochzeit«, sagte Tante Mayzie zu der Frau. »Wo ist denn Ihr Laden?«
    »Unten in Shady Valley. Wir haben wegen der Uni viel zu tun. Sie wissen schon, akademische Vorträge und so. Und Jungen, die sich bei den Mädchen bedanken wollen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Die teigige Frau öffnete ihre Tasche und gab Tante Mayzie eine Visitenkarte.
    »Blütenblätter«, sagte Tante Mayzie. »Ist das nicht ein süßer Name, James?«
    James nickte und wollte weitergehen. Die Sonne wurde über dem westlichen Bergrücken schon flacher und orange, so wie sie es tat, wenn sie bald auf die andere Seite der Erde fiel. Und dann würde es bald dunkel werden. Und weder die Straßenlaternen noch die Polizeistreifen konnten dazu beitragen, dass sich James sicher fühlte. Er räusperte sich.
    »Wir gehen besser weiter und sehen uns alles an, bevor es dunkel wird, Tante Mayzie. Außerdem haben wir morgen noch den ganzen Tag und diese Dame will sicher weiterarbeiten.«
    »Gut, James. Ihr jungen Leute seid immer so sehr in Eile. Alles Gute für morgen, gute Frau«, sagte Tante Mayzie.
    Die Frau nickte abwesend und wandte sich wieder ihren Blumen zu. Der schwere Geruch der Blumen war in der Abendbrise zu riechen.
    Sie gingen zum Haynes-Haus, einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das zum Gemeindezentrum umfunktioniert worden war. Die Musikbühne war auf einem Grasflecken unter einer großen Eiche gebaut worden, die schon zu der Zeit, als noch die Cherokee die Hügel bevölkerten, existiert hatte.  Eine Gruppe von groben Kerlen in Flannellhemden baute die Musikanlage auf, mannsgroße Boxen und anderes technisches Equipment. Teenager lungerten auf der Veranda des Haynes-Hauses herum oder lümmelten in der Nähe der Bühne auf dem Boden. Sie nippten an Pepsiflaschen und träumten davon, ein Rockstar zu sein.
    Tante Mayzie stieg langsam auf die Veranda des Haynes Haus hinauf. Heuballen lagen überall herum, die als Sitze fungierten und außerdem war eine Seite der Veranda mit Heuballen von der lauten Musik, die am nächsten Tag von der Bühne plärren würde, abgeschirmt. James half Mayzie über die Stiegen und sie lehnte sich gegen eine der Kolonialsäulen, die das Hausdach

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