Die Ernte
näher. Die Ränder seiner Augen waren geschwollen und grünlich, wie die Farbe von verfaulten Wassermelonen.
»Sag doch was«, bat sie. »Und versuch mich nicht zu küssen, dein Atem stinkt ja so, als würde ein Stinktier in deinem Mund wohnen und...«
Plötzlich merkte sie, dass noch etwas nicht stimmte, außer dem Gestank aus seinem Mund und den seltsamen Augen. Aus seinem Mund, der auf dem ihren lag, kam kein Atem.
Oh Gott, da stimmt etwas nicht und du musst weg von hier, weil er nicht atmet und warum kannst du deine Beine nicht bewegen und er will dich noch immer küssen und seine Zunge fühlt sich an wie eine kalte schleimige Schlangenhaut und was steckt er dir da in den Mund, das ist so schlüpfrig und oh Gott jetzt kannst du auch nicht mehr atmen und das ist nicht wahr aber du kannst nicht atmen so viel ist sicher und irgendetwas stimmt mit deinen Knochen nicht und auch nicht mit deinen Eingeweiden und oh Gott, lass bitte meine Lungen arbeiten, so muss es sein wenn man stirbt aber warum tut es so weh und jetzt wirst du das blaue Siegerband nie gewinnen und wir sind alle aus Sauerkraut und was ist das shhhh oh guter Gott ich kann mein Herz nicht mehr schlagen hören und die ganze Welt ist grün und weiß und grün und weiß so muss es sein wenn dein ganzes Leben vor deinen Augen vorbeizieht vor deinen Augen deinen Augen deinen Augen deinen
ZWEITES KAPITEL
Eine schwarze Wolke kroch langsam über den Himmel und strich über den Gipfel des Bear Claw, als sie gen Osten zog. Kleine graue Kumuluswolken folgten ihr auf ihrem Weg wie unförmige Kühe auf dem Weg zur Weide. Bei Sonnenaufgang waren die Wolken noch so dünn wie Butter auf dem Himmel aufgetragen gewesen. In den wenigen Stunden, die seitdem vergangen waren, hatten sie sich aber zusammengezogen, als ob sie bald zur Sache kommen würden. Und zu dieser Jahreszeit hieß das vor allem Regen.
Chester Mull rieb seine schwieligen Hände aneinander und hoffte, so die Schmerzen seiner Arthritis mildern zu können. März in den Bergen war immer erbärmlich. Das kalte und feuchte Wetter wechselte sich mit kurzen sonnigen Perioden ab und bereitete seinen Gelenken ständige Schmerzen. Einmal waren sie so steif wie ein Besenstiel und im nächsten Moment so wankelmütig wie die Liebhaber von Eula Mae Pritcher. Jetzt meldeten ihm seine schmerzenden Knochen, dass das täglich fällige Gewitter gerade unterwegs war.
Statische Elektrizität prickelte auf den drahtigen grauen Haaren seiner Handrücken. Er blickte über den Hof auf seine bläulichen Bantam-Zwerghühner, die friedlich im Dreck scharrten. Sie würden nicht einmal daran denken, vor dem Regen zu flüchten und er würde sicher nicht aufstehen und sie in den Stall scheuchen. Er fühlte sich wohl, wo er gerade war, mit seinem knochigen Hinterteil in dem notdürftig geflickten Sitz seines Schaukelstuhls.
Eine Erschütterung ertönte über dem Berg, das Echo prallte von den Bergflanken aus Granit ab und schmerzte in Chesters Ohren. Diese Kerle sprengten schon wieder am Sugarfoot, nahmen den Berg Stück für Stück auseinander. Ein Wunder, dass der ganze verdammte Gipfel noch nicht abgerutscht ist, so wie sie ihn mit Dynamit füllten. Naja, das war der Preis, den man für den Fortschritt zahlen musste. Er wünschte sich nur, dass der Fortschritt ein paar hundert Meilen weiter weg stattfinden würde.
Er drehte seinen Kopf zur Seite und spuckte einen ganzen Schwall Tabaksaft von der Veranda. Doch er hatte schlecht gezielt und das Speichel-Tabakgemisch traf eines der verbogenen Kieferbretter und zitterte noch kurz im Staub, bevor es sich daran machte, einen bleibenden Fleck zu hinterlassen.
»Verdammte Days O´Work, haben noch nie einen ordentlichen Pfriem gemacht«, murmelte er vor sich hin. Er hatte vor ungefähr sechs Jahren begonnen mit sich selbst zu reden, ein paar Monate nachdem Hattie ihn verlassen hatte um zum Herrn heimzukehren. Aber er konnte sich ja selbst gut Gesellschaft leisten, auch wenn das bloß seine eigene Meinung war. Und da war ja niemand, der ihm dabei widersprechen konnte. Außerdem musste er sich so keine frechen Antworten gefallen lassen.
Chester kratzte sich die Gurgel. Hattie hatte immer gesagt, dass sein Hals wie der eines Truthahns aussah. Er drückte seine Kiefer zusammen und versuchte so noch ein bisschen Nikotin aus seinem Kautabak zu bekommen. Ein Rinnsal aus dunklem Speichel lief auf einer Seite seines Mundes hinunter und färbte dort seinen straßenköterbraunen
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