Die Ernte
ernst. Irgendetwas stimmt da nicht.«
»Erzähl mir bitte nichts von saurem Regen. Du hast zu viele Bücher gelesen.«
»Ich bin jetzt schon seit drei Jahren hier und habe noch nie so etwas wie heute gesehen.«
Chester erhob sich auf seine wackeligen Beine und schob seine Daumen durch die Träger seiner Jeans-Latzhose. Er schaute von seiner Eingangstür aus auf die Bergspitzen der Blue Ridge Mountains, die überall hoch und spitz in den Horizont ragten.
Als er noch ein Junge war, konnte er von hier auf seiner Veranda bis nach Tennessee schauen. Jetzt konnte er – sogar an einem guten Tag – kaum vierzig Meilen weit sehen, und manchmal konnte er in der Nacht nicht einmal die stecknadelgroßen blauen und orangen Lichter erkennen, die aus dem zwanzig Meilen unterhalb liegenden Windshake kamen.
»Nun denn, die Mulls haben dreihundert hier Jahre gelebt und kein einziger hat jemals etwas von einem grünen Regen erzählt«, sagte er, obwohl er innerlich zugeben musste, dass die Wolken eine seltsame Farbe hatten. Er dachte, es sei der Einfallswinkel der Sonne. Oder vielleicht das Glas Getreideschnaps, das er in seiner Hand hielt.
»Diese ganze Umweltverschmutzung - «
»Du bist halt nicht von hier«, sagte Chester. »Du hast noch kein Recht über die Zerstörung der Berge hier zu lästern.«
Oben am Sugarfoot thronte eine zwanzigstöckige Wohnanlage, die in dieser Umgebung unwirklich aussah, so als ob sie sich ein Hollywoodproduzent für Science-Fiction Filmaufnahmen ausgedacht hatte. Unter der Anlage hatte eine ganze Herde Bulldozer eine Skipiste in eine Bergflanke hineingefressen. Dank der Schneekanonen zog sich noch das weiße Band der Piste den Berg hinunter, obwohl es schon seit drei Wochen keine Temperaturen mehr unter null Grad gegeben hatte.
Die meisten der schönsten Bergspitzen waren von den verschiedenen Farben der Sommerresidenzen gesprenkelt. Die Hügel, die weniger verbaut waren, waren von den weißen Stämmen der Balsamtannen, die vom sauren Regen eingegangen waren, vernarbt. Die Sprengtrupps hatten auch ihre Spuren hinterlassen und tiefe, rote Löcher in die Berge gerissen. Und die großen, silbrig schimmernden Granitplatten waren für Chester auch kein echter Blickfang.
»Außerdem«, sagte Chester, »hab ich dir ein Stück davon verkauft. Du bist also auch ein Teil des Problems.«
»Ich war ohnehin überrascht, dass du einen Teil des Familiensilbers so verscherbelt hast.«
»Rein wirtschaftliche Gründe. Ich war sieben, als mein Vater mir eine Hacke in die Hand drückte und zu mir sagte "An die Arbeit, mein Sohn." Sechzig Jahre später, was hab ich davon? Geschwollene Gelenke an den Fingern und einen kaputten Rücken. Seit ich dein Geld habe, muss ich nicht einmal mehr aufstehen, um einer Schlange eines aufzubrennen, wenn ich mich nicht danach fühle.«
»Vielleicht komme ich später bei dir vorbei und wir sprechen noch einmal persönlich über das Wetter.«
»Gut. Ich hab nämlich seit Hatties Tod keine Quengelei mehr zu hören bekommen.«
»Beobachte du mal den Himmel.«
Chester legte auf, aber er konnte nicht widerstehen, einen prüfenden Blick auf die Wolken zu werfen. Er interessierte sich aber mehr für den Einfallswinkel der Sonne.
»Bald Mittag, denk ich«, sagte er und ließ seinen von Krampfadern durchzogenen Körper in seinen Schaukelstuhl sinken. Eines der Stuhlbeine zwickte Bommers Schwanz ein und der Hund jaulte vor Schmerzen auf.
»Du alter Idiot, man sollte meinen, du hättest schon gelernt, dass du deinen Arsch nicht unter den Schaukelstuhl legen sollst.« Chester strich über Boomers von Räude befallene Stirn. Boomer blickte ihn aus traurigen, hängenden Augen an. Die Augenwinkel des Hundes waren verkrustet.
Der Himmel war jetzt dunkler und der Wind trieb die Wolken wie einen Haufen verfaulter Kartoffel zusammen. Die Berghänge waren in Schatten getaucht, wodurch ihre Konturen verwischt wurden. Chester griff in seinen Mund, holte seinen Kautabak heraus und legte den zerkauten Klumpen auf den Handlauf der Veranda. Er schaute aus wie einer von Boomers Häufchen, hatte Hattie immer gesagt, aber sie war ja selber einer guten Prise Schnupftabak nie abgeneigt gewesen und konnte sich deshalb kaum über ihren Mann aufregen.
Die ersten Regentropfen fielen auf das Blechdach der Veranda. Der Regen hörte sich so an, als würde eine Gruppe von Elfen mit ihren Hämmerchen auf das Dach einschlagen. DeWalt hatte gesagt, das Geräusch sei für ihn beruhigend und er würde gerne
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