Die Ernte
Sonnenlicht. Er zog sie zu sich und sein Atem war wie ein tödlicher Nebel, der von den hölzernen Leichen der umgefallenen Bäume aufstieg. Und sie spürte unter seinen Fingern die Mutter-Kreatur hinter ihm und in ihm. Sie fühlte den Hunger, seinen Instinkt, sein Verlangen, sie zu besitzen.
Sie sah, die Vision, die er in dem heißen Samen seines Herzen trug: Das große Shu-shaaa wiedervereint, das helle Feuerrad der Galaxien, das in sich selbst zurückkehrte, die Heimkehr der nebeligen Wolken des Universums, Materie, die verspeist und als schwarze Materie wieder ausgeschieden wird, das Universum, das seinen eigenen Schwanz zu verspeisen beginnt.
Dann, nachdem die Zeiger der Zeit wieder zurückgedreht, der Sand wieder in den oberen Teil der Sanduhr gestopft sein würde, nachdem Geschichte ausgelöscht und vernichtet worden wäre, würde nur ein ruhiges, schwarzes Nichts bleiben. Der schreckliche ewige Frieden eines kollabierten Kosmos, ohne ein einziges Fünkchen Licht oder irgendeine Form von Leben. Sie konnte die Zukunft deutlich sehen.
Die Vision war durch die kurze Berührung hervorgerufen worden. Aber jetzt hatte er die Hand zurückgezogen und der körperliche Kontakt brannte nicht mehr auf ihrer Haut, denn sie hatte sich auf den Rücken fallen lassen und trat mit beiden Füßen nach dem Teenager. Sein Fleisch gab wie ein überreifer Pfirsich nach.
Die anfänglich überwältigende Kraft der übersinnlichen Invasion war gewichen. Die Eindrücke einer galaktischen Antiklimax wirbelten noch immer durch Tamaras Kopf, aber sie hatte diese bereits zur Seite geschoben, für eine spätere Analyse gespeichert. Zuerst musste sie das hier überleben.
Der Junge taumelte zurück, aber kam wie eine zugedröhnte Schnecke wieder näher. Der Junge pochte am ganzen Körper, pulsierte vor feuchter Vorfreude, dampfte wie eine Orchidee im Gewächshaus. Instinktiv wusste Tamara, dass er sie vergewaltigen wollte. Nicht nur eine Vergewaltigung ihres Fleisches und ihrer Körperöffnungen, sondern eine Verletzung ihres Inneren. Ihres menschlichen Seins, ihrer Körperflüssigkeiten, Zellen, Neuronen und Synapsen, ihres Blutes, Speichels und Schweißes. Ihrer Seele.
Sie rollte sich zur Seite, sprang auf die Füße und griff nach der Autotür. Ihre Fingernägel kratzten über das Blech der Karosserie, bis sie die Türschnalle gefunden hatte. Dann tauchte sie in das Innere des Autos und schlug ihr Knie hart an den Schaltknüppel, als sie auf den Beifahrersitz krabbelte. Gerade als der Junge in den Toyota zu greifen versuchte, schlug sie die Türe mit aller Wucht zu.
Tamara hörte ein Geräusch wie das Brechen von grünen Bohnen, als die Türe zuflog. In den grün leuchtenden Augen des Jungen war keine Überraschung zu lesen, als seine abgetrennten Finger in ihren Schoß fielen. Kreischend beförderte sie die Finger auf den Autoboden. Aus den Wunden tröpfelte eine milchige Flüssigkeit. Obwohl sie vom Rest des Körpers abgetrennt waren, bewegten sich die Finger weiter, als ob sie blind und taub noch weiter etwas suchen würden.
Dann erschien das Gesicht des Teenagers auf einmal auf der Windschutzscheibe und er presste seine sumpfigen Lippen in einem kalten Kuss auf das Glas. Die Augen glühten vor Verlangen als schlammige Handflächen suchend über das Glas strichen. Tamara verschloss das Auto mit einem Handgriff von innen.
Kannte sich dieses Shu-shaaa, der Quell der inneren Stimme, mit Schlössern aus?
Sie konnte fühlen, dass das Shu-shaa immer stärker wurde, den Berg auffraß, sich wie eine Kletterpflanze ausbreitete und dabei Sonnenlicht, Wasser und Bakterien aufsog. Es war gefräßig, genauso wie der Junge am Fenster, der schmerzlich versuchte, sie zu bekehren, ihre Energie zu verzehren und sie in eine leere Hülse zu verwandeln. Genauso wie die Mutter-Kreatur die ganze Welt als leere Hülle zurücklassen würde, nachdem sie hier ihre Energiespeicher aufgefüllt haben würde.
Keine Stimmen mehr. Kein Zweifel mehr.
Alles, was jetzt noch zählte, war das Überleben in einer Welt, die aus den Fugen geraten war.
Tamara kroch auf die Rückbank und legte ihre Hand auf die Türschnalle. Der Junge rutschte auf dieselbe Seite des Autos, wobei seine verwundete Hand eine nasse Spur auf der Windschutzscheibe hinterließ. Er bewegte sich nur langsam, aber Tamara war sich nicht sicher, ob Flucht die beste Lösung war. Sie konnte sicher schneller laufen als der eine da, aber sie spürte, dass da noch andere in der Nähe waren.
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