Die erregte Republik
und bewusste Provinzialität, die die Bundesrepublik ausgezeichnet hatte, auch im vereinigten Deutschland beizubehalten. Im Moment der Hauptstadtentscheidung überwog noch die zweite Erwartung. Kanzler Helmut Kohl stellte zum Abschied |85| aus Bonn klar: »Wir ziehen nach Berlin, aber nicht in eine neue Republik.« 53 Diese Wahrnehmung hatte sich allerdings in den Jahren zwischen 1991 und dem tatsächlichen Regierungsumzug 1999 geändert. Der Begriff der Berliner Republik war mehr und mehr zur Projektionsfläche für ein anderes Deutschland geworden. Nicht so sehr Konservative, die mit der neuen Hauptstadt mehr nationales Selbstbewusstsein und die Rückkehr zu alten preußischen Tugenden verbanden, prägten diesen Begriff, sondern vorwiegend jüngere, gemäßigt linke Politiker und Publizisten, die damit die Hoffnung auf eine Überwindung der Piefigkeit der Kohl-Ära und den Aufbruch in ein cooleres, modernes und großstädtischeres Politikprojekt verbanden.
Zwanzig Jahre später ist von diesen großen Erwartungen nicht viel übrig geblieben. Die Euphorie, mit der der Aufbruch gefeiert wurde, ist längst erloschen. Die
Berliner Seiten
der
F.A.Z.
, die lange so etwas wie die Papier gewordene Inkarnation der mit der Berliner Republik verbundenen Aufbruchserwartungen waren, mussten schon 2002 ihr Erscheinen einstellen. Kurz darauf gab auch die
Süddeutsche Zeitung
aus Kostengründen ihre Berlin-Seiten auf. Allein die von jüngeren SPD-Bundestagsab geordneten herausgegebene Zeitschrift
Berliner Republik
hält unverdrossen an ihrem Titel fest. Geblieben von den großen Erwartungen ist nur eines: Die Berliner Republik steht heute als Chiffre für eine im Vergleich zu Bonn fundamental gewandelte Mediensituation. Versprachen sich viele Befürworter des Berlin-Umzugs vom Wechsel an die Spree eine größere Nähe der Politiker zu den Menschen und den sozialen Realitäten im Land, steht der Berliner Politikbetrieb heute eher für ein geschlossenes, von der Welt abgewandtes Biotop, in dem sich Politiker, Journalisten und Lobbyisten verschanzt haben und den Rest des Landes so gut wie möglich ignorieren.
|86| Bonn revisited
Dabei galt schon Bonn spätestens seit dem Erscheinen von Wolfgang Koeppens zu Recht als Schlüsselroman bezeichnetem Buch
Das Treibhaus
im Jahr 1953 als Inbegriff einer in sich abgekapselten, nur marginal auf die Realität bezogenen politisch-medialen Welt, in der Journalisten und Politiker wie in einer großen Blase lebten. Richtig daran ist auf jeden Fall: Schon in Bonn betrieben die Politiker symbolische Politik und auch dort waren die Medien die primären Adressaten dieser Symbolhandlungen. Trotzdem waren die Verhältnisse überschaubar, hielt sich der Hang zur Inszenierung und Selbstzelebrierung in Grenzen. Bonn war eine eher nüchterne Stadt und die Etikette war klar geregelt. Die Politik war dort mit einer Medienordnung konfrontiert, die aus der Lizenzpolitik der Alliierten im Bereich der Presse und der Gründung von ARD und ZDF als öffentlichen, aber dennoch staatsfernen Fernsehanstalten hervorgegangen war. Die in Bonn akkreditierten Journalisten hatten de facto ein Monopol auf die bundespolitische Berichterstattung, Politiker und Hauptstadtjournalisten kannten einander ganz überwiegend persönlich. Die Anzahl der Akteure war überschaubar, die Politik hatte ein hohes Maß an Kontrolle, wer über sie berichtete. Vor allem aber: Journalisten in Bonn schrieben fast grundsätzlich weniger als sie wussten. Man hockte am Rhein einfach zu eng aufeinander, um kritische Distanz zu entwickeln. Die Vertreter der vierten Gewalt waren in die Politikformulierung häufig informell eingebunden, steckten in vielen Entscheidungs- und Abwägungsprozessen so tief mit drin, dass sie sich vielfach für diese verantwortlich fühlten. »Ein Schmiergeld namens Nähe« hat der Journalist Peter Zudeick diese Bonner Verhältnisse einmal genannt. 54 Was Journalisten vertraulich erfuhren, das geben sie |87| in der Regel nicht weiter. Regelverstöße wurden durch Kontaktentzug sanktioniert.
Politiker konnten es sich am Anfang sogar noch leisten, das Fernsehen zu ignorieren. Das war freilich noch ganz am Anfang auf dem Weg zur Mediendemokratie. Dass aus der volkstümlichen Fernsehunterhaltung der Anfangszeit erst ein scharfes politisches Interventionsmedium und später ein schrilles, alles durchdringendes Unterhaltungs- und Zerstreuungsmedium wurde, war ein Prozess, der Jahrzehnte dauerte. Am Anfang war Fernsehen vor allem
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