Die erregte Republik
der kommunikativen Akte von den Politikern selbst ernstgenommen und welche nur vollzogen werden, um den Erwartungen der Mediengesellschaft zu begegnen.« 49
Dadurch gerät die bundesdeutsche Demokratie, die so stark auf Konsensbildung, umfassende Abstimmung und das Aushandeln von Kompromissen angelegt ist, in die Bredouille. Immer häufiger mussten in den letzten Jahren komplexe Gesetze im Eilverfahren durch beide Kammern des Parlaments gepeitscht werden, nicht immer war die Eile nur durch die objektiven |82| Umstände bedingt und nie hat das Tempo dem Ergebnis gutgetan. Die Föderalismusreform mit ihren zum Teil geradezu aberwitzigen Resultaten kann als ein Versuch der Politik gewertet werden, eine höhere Prozessgeschwindigkeit beim Durchlauf politischer Anliegen zu erreichen. Ob aber Geschwindigkeit in demokratischen Institutionen alles ist, was zählt, darf mit einigem Recht bezweifelt werden. Mittlerweile gibt es unter Fachleuten eine heftige Diskussion über die Konsequenzen der handwerklichen Fehler und Mängel, die aus überstürzten parlamentarischen Verfahren resultieren. Von einem »Gesetzes-Tsunami« sprachen Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition im Herbst 2010, als die Regierung Merkel mit dem Regieren plötzlich ernst machte, um dem in den Medien immer wieder geäußerten Vorwurf der Tatenlosigkeit entgegenzutreten. Viele Bundestagsabgeordnete, ganz gleich ob aus Regierung oder Opposition, geben mittlerweile offen zu, dass sie – die eigentlich Verantwortlichen für fehlerfreie Gesetze – ihre eigene Gesetzgebungstätigkeit nicht mehr überblickten. So strich der Deutsche Bundestag Ende Oktober 2010 per Beschluss versehentlich die Ökosteuerermäßigung für die Fernwärme, obwohl es sich bei dieser um eine Energieform handelt, die politisch bislang ganz bewusst gefördert wurde. Die Konsequenzen ihres Beschlusses bemerkten die Abgeordneten erst eine Woche später – und hofften dann auf eine nachträgliche Korrektur durch den Bundesrat. Wo aber bei den Gesetzen geschlampt wird, stehen die Türen für Lobbyisten und andere Einflüsterer weit offen. In einem Änderungsantrag zu der vom damaligen Gesundheitsminister Philipp Rösler verantworteten Gesundheitsreform fand sich Ende 2010 ein eilig eingefügter Passus, der wortwörtlich aus einer Stellungnahme des Verbands forschender Arzneimittelhersteller stammte. 50 Auch die von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung |83| für die Atomkraftwerke wurde Ende 2010 in einer solchen Eile durchs Parlament gepeitscht, dass dessen Präsident danach den »Verdacht mangelnder Sorgfalt« äußerte: »Das entspricht nicht meinen Anforderungen an ordentliche Gesetzgebungsarbeit«, sagte Lammert. Das Parlament habe in einer Geschwindigkeit über den Gesetzentwurf beraten müssen, die »eigentlich unzumutbar« sei. 51 Der Bundestag wird so unter dem Druck der Medienerwartungen zur Gesetzesmachermaschine. Lammert: »Es schadet dem Ansehen des Parlaments, wenn der Eindruck entsteht, als folgten wir vermeintlichen oder tatsächlichen Vorgaben, statt selbstständig zu urteilen und zu entscheiden.« 52
|84| 4. Die Bonner und die Berliner Republik
Wann und wo nahm diese heute alles dominierende Beschleunigung ihren Ausgang? Natürlich gab es viele Zäsuren und auch unmerkliche Verschiebungen, doch der jetzige Zustand der politischen Kommunikation in Deutschland ist fest mit dem Begriff der Berliner Republik verknüpft. Die neue, 1998 bezogene Bundeshauptstadt gilt als Hort eines politisch-medialen Biotops, das in den letzten dreizehn Jahren gänzlich neue Aushandlungsmuster zwischen Politik und Medien hervorgebracht hat. Dass dies so kommen würde, war nicht notwendig zu erwarten gewesen. Als der Deutsche Bundestag am 20. Juni 1991 nach langer, heftiger Debatte mit 338 zu 320 Stimmen für Berlin als neue Bundeshauptstadt votierte, markierte diese Entscheidung für viele die logische Folgerung aus der deutschen Einheit und einen Aufbruch in ein neues, größeres und östlicheres Deutschland. Andere hofften, dass der Umzug nach Berlin nur ein Ortswechsel, keine Neubegründung der Republik sei. Für beides gab es Argumente: Für die Berliner Republik, also einen echten Neuanfang sprach, dass man die Revolution der Ostdeutschen würdigen und ein klares Signal setzen wollte, dass mit der deutschen Einheit ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Landes begann; für eine nach Berlin verlagerte Bonner Republik hingegen, dass man wünschte, die Bescheidenheit
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