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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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Die Medien hatten der Politik mal wieder ein Thema beschert, das an sich ein Nullthema war, an dem sie sich dennoch tagelang die Zähne ausbiss. Dies illustriert eines der Hauptprobleme der Politik mit den Medien: Diese erzeugen ständig neue Probleme, die oft die administrative Verdauungsfähigkeit des politischen Systems übersteigen. »Jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben«, nennen die Politiker dieses Phänomen. Und unrecht haben sie damit nicht: Wenn die Medien in der einen Woche gegen Kampfhunde und in der anderen gegen die NPD mobil machen, können sie sich schon in der dritten Woche ganz anderen Themen zuwenden. Die Politik aber hat zwei neue Arbeitsprojekte verordnet bekommen, die sich – wie bei den Kampfhunden wegen des deutschen Föderalismus oder beim NPD-Verbot aufgrund der hohen verfassungsrechtlichen Hürden eines Parteienverbots – über Jahre hinziehen können. Scheitert dann, wie beim NPD-Verbot, ein solches politisches Projekt, gilt die Problemlösungsfähigkeit der Politik als beschädigt, und die Medien prangern dies lautstark an. Dass man die Politik in ein von Anfang an wenig aussichtsreiches Unterfangen getrieben hat, findet natürlich keine Erwähnung. Der Chefredakteur des Berliner
Tagesspiegel
, Stephan-Andreas Casdorff, bemerkte in |80| einer
Phoenix -Runde
selbstkritisch, die Medien seien »mitverantwortlich für unberechenbare Schritte von Politikern: Wir fordern ja ständig Aktionismus und warten gar nicht mehr ab, bis etwas wirkt.« 48 Ein typisches Beispiel hierfür ist die drohende Schweinegrippe im Winter 2009/10: Erst schlugen die Medien hysterisch Alarm und warfen der Politik Untätigkeit vor. Als dann die Massenimpfungen vorbereitet wurden, veröffentlichten viele Medien die Meldung, dass die Politiker sich selbst und einigen anderen Eliten einen besseren Impfstoff sicherten als den, der für den einfachen Bürger vorgesehen sei. Als am Ende Unsummen für die Anschaffung und Einlagerung von Impfstoff ausgegeben worden war, lautete der Medientenor: So viel Geld für eine völlig ungefährliche Grippe verpulvert!
    An Punkten wie diesem wird die Entkoppelung von politischer Diskussion und medialem Metadiskurs deutlich: Während die Politik sich an Arbeitsprogrammen orientiert, die innerhalb der Verfahren und Aushandlungsmechanismen der parlamentarischen Demokratie realisierbar erscheinen, initiieren die Medien Diskurse, welche die Politik nicht nur mit einer Problemschwemme konfrontieren, sondern häufig auch Missstände betreffen, die außerhalb der Reichweite der Politik liegen. Da hinter den von den Medien aufgeworfenen Problemen oft gar keine politischen Aktionsprogramme stehen
können
, haben die Medien alle Freiheit, ihre Problemerzeugungsmechanismen vom politisch-administrativ Machbaren zu entkoppeln und quasi frei flottierend dort eigene Diskursräume zu eröffnen, wo die vermutete Publikumsresonanz die stärksten Erregungswellen erwarten lässt. Dann regieren Reflexe statt Reflexionen. Die Mediendemokratie transformiert sich zur Stimmungsdemokratie, in der heute lautstark dies und morgen das gefordert wird, die Zurechenbarkeit von Positionen aber |81| nicht mehr gegeben ist. Denn wen kümmert schon sein Geschwätz von gestern?
    Auf Dauer kann diese veränderte Diskurssituation nicht ohne Einfluss auf die Politik bleiben. Die ständigen medialen Aktionsattacken führen zu einer Veränderung des Politischen, die über die von vielen belächelte Konditionierung der Politiker auf die berühmten 30-Sekunden-Statements weit hinausgeht. Sie beschneiden nämlich mit der zunehmenden Beschleunigung nicht nur den Raum, den Politik zur Verfügung hat, um sich in den Medien zu repräsentieren, sondern sie deformieren das gesamte Zeitgefüge, welches die Politik zur Lösung von Problemen zur Verfügung hat. Die Atemlosigkeit der beschleunigten Medien, die keinen Sinn für langwierige Prozesse und schwierige Abwägungen haben, sondern ein Thema stets als abgeschlossenes Ereignis mit klarem Anfangs- und Endpunkt präsentieren müssen, wird zum Maßstab des politischen Prozesses. Die für Medienpräsenz unerlässliche Inszenierung degradiert Politiker zu Politik-Schauspielern, die nicht mehr primär ihre eigene Agenda verfolgen, sondern zuallererst die Erwartungen der Medien befriedigen müssen. Thomas Mergel stellt fest: »Wenn nicht nur alle Politik Kommunikation ist, sondern auch alle Kommunikation (tendenziell) politisch, dann lässt sich nur mehr schwer unterscheiden, welche

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