Die erregte Republik
banal. Im Frühjahr 1953 schickte der Bundestagspräsident Hermann Ehlers dem Intendanten des Nordwestdeutschen Rundfunks, Werner Pleister, ein Telegramm, das man in Hamburg zunächst für eine Fälschung hielt: »Sah eben Fernsehprogramm. Bedaure, dass Technik uns kein Mittel gibt, darauf zu schießen.« Das Schreiben war aber weder eine Fälschung noch ein Witz. Schon zwei Tage zuvor hatte Ehlers auf einer Pressekonferenz von Bundeskanzler Adenauer eine Entschließung des CDU-Parteiausschusses für Presse, Film und Funk verlesen. Dort bekannte er: »Ich tue das um so lieber, als ich festgestellt habe, daß vorgestern das Fernsehprogramm eineinhalb Stunden das deutsche Volk mit einem Boogie-Woogie-Turnier aus der Hamburger Ernst-Merck-Halle unterhalten hat, daß es vorgestern eine außerordentlich kümmerliche Darstellung des Kölner Karnevals mit einem siebtklassigen Kabarett gebracht hat und gestern als einzigen Witz den brachte, daß der Bundestag, der das Gesetz über die Verhütung von Unfällen im Straßenverkehr beraten hat, als hoher Priester und Schriftgelehrter bezeichnet wurde.« 55 Ein derartiges Programm konnte man aus Sicht der Politik nicht ernst nehmen. Doch mit der wachsenden Reichweite des Fernsehens wuchs es in die Rolle des einflussreichsten Mediums der politischen Kommunikation hinein. Als zu Weihnachten 1952 der |88| Nordwestdeutsche Rundfunk täglich ein zweistündiges Fernsehprogramm auszustrahlen begann und kurz darauf die
Tagesschau
startete, wurde die Zahl der Fernsehgeräte in der Bundesrepublik auf ganze dreihundert geschätzt. Ab dem 1. April 1963 sendete das Zweite Deutsche Fernsehen ein Konkurrenzprogramm zur ARD. Das Fernsehen wurde schnell zum festen Bestandteil der Alltagskultur. 1961 gab es fünf Millionen Empfangsgeräte, zehn Jahre später waren es schon sechzehn Millionen, heute sind es 58 Millionen.
Seit Anfang der 1960er- bis in die frühen 1990er-Jahre spielte das Fernsehen eine zentrale Rolle für die Konstruktion der politischen Öffentlichkeit. Magazine wie
Report
und
Panorama
deckten zahlreiche Skandale auf und setzten selbstherrliche Politiker – zuerst Franz-Josef Strauß in der
Spiegel -Affäre
1962 – wirkungsvoll unter Druck. Doch die »fast totale Herrschaft über die Volksvertreter«, die Günter Gaus später konstatieren sollte, hatte das Fernsehen damals noch nicht. Auch für Politiker ging es noch nicht primär darum, um fast jeden Preis »ein paar Sekunden Fernsehzeit zu erobern«, wie Klaus Bölling dann in den 1970er-Jahren feststellte: »Der Ausweis von Prominenz sind lange schon nicht mehr allein Gedankenkraft und Phantasie oder Stetigkeit, sondern ist, ich übertreibe wohl nur gering, die ›Präsenz‹ auf dem Bildschirm.« 56 Allerdings hatte Konrad Adenauer schon Mitte der 1950er-Jahre den Wert des Fernsehens klar erkannt und bemühte sich hartnäckig um die Schaffung eines regierungstreuen Staatssenders als Gegenstück zur konsequent staatsfern organisierten ARD – bis ihm das Bundesverfassungsgericht 1961 schließlich untersagte, dieses Ziel weiterzuverfolgen.
|89| »Willy wählen« und der Beginn der Telepolitik
Adenauer wusste zwar abstrakt um die Macht des Fernsehens, doch der erste Fernsehpolitiker der Bonner Republik wurde Willy Brandt. Dass der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer Brandt die Kanzlerkandidatur für das Jahr 1961 antrug (und damit die später so wichtige Figur des Kanzlerkandidaten erfand), hatte nichts mit Brandts Beliebtheit in der SPD zu tun. Er stand damals politisch am äußeren rechten Rand der Partei und war als Regierender Bürgermeister der isolierten Stadt West-Berlin von der Bundespolitik weit entfernt. Ollenhauer traf diese Entscheidung vor allem deshalb, weil Brandt telegen war. Nach drei für die Sozialdemokraten katastrophal verlaufenen Bundestagswahlen wusste ihr Vorsitzender, dass die SPD neben einer programmatischen Erneuerung, die mit dem Godesberger Programm von 1959 eingeleitet worden war, auch ein vorzeigbares Gesicht für die Medien brauchte. Willy Brandt gab als Bürgermeister jener Stadt, die weltweit als Schaufenster des Westens galt, mit seiner Eleganz und Eloquenz eine gute Medienfigur ab. Schon beim Berliner Presseball 1955 hatten Rut und Willy Brandt diesen neuen Stil vorgeführt – sie im trägerlosen weißen Seidenkleid, mit weißen Handschuhen und einem schwarzen Band um die Hüfte, er im Smoking. Für Sozialdemokraten war das zu jener Zeit ein mehr als ungewöhnlicher Aufzug.
Nach seiner
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