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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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die Politik – teils selbstverschuldet, |77| teils einfach überrollt von der geballten Macht der Medien nach der Einführung des dualen Rundfunks und der damit verbundenen Vervielfältigung der Medienkanäle – mehr und mehr in den Sog von Medienerwartungen, ohne sich diesen widersetzen zu können. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Politik einen enorm großen und zunehmend steigenden Legitimationsbedarf hat. Und da sich mit dem Journalismus ein Beobachter gefunden hat, auf den die Gesellschaft als Augenzeuge zurückgreift, ist Politik wie kein anderer gesellschaftlicher Teilbereich vom Journalismus abhängig. 46 Gleichzeitig hat sich das Medienhandeln so beschleunigt, dass die Politik nicht mehr schnell genug den Stoff liefern kann, den der Journalismus in unendlicher Abfolge braucht. Deswegen haben die Medien sich mehr und mehr von der politischen Prozesslogik abgekoppelt und orientieren ihre Berichterstattung zunehmend an ihren eigenen Interessen. Die Folge ist, dass die Aufmerksamkeitsregeln der Medien und vor allem die des Boulevards allmächtig werden. Die Eignung zum Storytelling, also ob eine Geschichte unterhaltsam bzw. dramatisch erzählt werden kann, ist seitdem für die Auswahl von Nachrichtenstoff oft wichtiger als die Inhalte. Personalisierung und Skandalisierung werden auch dort zu Ankerpunkten der Berichterstattung, wo es um routinehafte, nicht personengebundene Sachfragen geht. Unterhaltung gewinnt immer mehr an Bedeutung und damit obsiegt die Dominanz des Formats endgültig über den Inhalt. Denn es kann nur noch berichtet werden, was für die Medienkonsumenten unterhaltsam ist.
    Hinzu kommt: In der modernen Medienwelt sind Prominenz und Elite austauschbar geworden. Tagtäglich können die Redaktionen wählen, ob sie mit Dieter Bohlen oder Angela Merkel aufmachen, selbst seriöse Zeitung füllen ihre Titelseiten tagelang mit Schlagersternchen Lena Meyer-Landrut. |78| Durch die Gleichsetzung von E und U, von Einfluss und Bekanntheit haben die Medien vor allem einen Vorteil: Sie werden von der Politik als Stofflieferanten weitgehend unabhängig. Dies markiert einen wichtigen Unterschied zwischen Bonn und Berlin: Während Politiker und Journalisten die alte Bundeshauptstadt mehr oder minder für sich allein hatten, verweben sich die Berliner Politik-Celebrities mit Prominenten aus anderen Branchen. Die
Bunte
-Chefredakteurin Patricia Riekel gab schon 2001 zu Protokoll, dass ihre Zeitschrift sich vor allem deswegen mit Politikern befasse, »weil ein ›people’s magazine‹ wie die
Bunte
Prominenz braucht«. 47 Politiker sind aus dieser Sicht reine Lückenfüller. Herrscht in der bunten Presse Mangel an Stars und Sternchen, kommen sie auch zum Zuge. Die Folge ist eine Verwischung des Politischen: Dieses kann da sein oder auch nicht. Auf jeden Fall existiert es in den Medien mit und neben einer mehr oder minder skurrilen Mischung anderer Ereignisse.
    Die so zunehmend in eine Randlage manövrierte Politik reagiert defensiv. Sie hat zwar nach wie vor ein Interesse daran, die Medien zur Popularisierung ihrer Projekte zu nutzen, doch fehlen ihr zunehmend die Mittel, um dies wirksam durchzusetzen. Die Medien haben umgekehrt ein Interesse daran, Politik zu sensationalisieren, um Aufregung zu erzeugen und ihre Reichweite zu steigern. An dieser Stelle werden die unterschiedlichen Funktionszuweisungen an Politik und Medien deutlich: Während die Politik auf das Treffen von Entscheidungen, also das Lösen von Problemen aus ist, sind Medien mit der Problemerzeugung durch Thematisierung von Missständen, Skandalen etc. beschäftigt. Denn das mediale Geschäftsmodell ist auf das Erzeugen von Interesse und Aufmerksamkeit ausgerichtet, während sich die Energie der Politik auf die Erzeugung von Zustimmung durch erfolgreiche Problemlösung richtet. |79| Konflikte sind vorprogrammiert. Ein Journalist berichtete einmal, er habe im Februar 2006 die Interviewaussage der grünen Verbraucherschutzpolitikerin Bärbel Höhn, wenn es zu einer massiven Ausweitung der Vogelgrippe käme, könne dies auch Folgen für die Durchführung der Fußball-WM in Deutschland haben, unter die Schlagzeile »Höhn fordert: WM absagen!« gestellt. Aufmerksamkeit bescherte ihm das allemal, der Aussage von Bärbel Höhn gerecht wurde diese Verkürzung nicht. Doch es funktionierte: Sofort entspann sich eine heftige Debatte und die Agenturen meldeten bald, dass neben Höhn immer mehr Politiker für eine Absage der WM plädierten.

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