Die erregte Republik
Alpha-Journalismus aus Kommentatoren der Politik zunächst den Politikern gleichwertige Publikumsstars und bald darauf auch vermeintlich politisch ebenbürtige Alter Egos wurden, die am politischen Diskurs ganz selbstverständlich so teilnahmen, als trügen sie die Verantwortung für das Land. Wenn der
stern
-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges bei einer |151| Podiumsdiskussion über die Regierung feststellte: »Wir sollten sie wie rohe Eier behandeln. Diese Truppe ist das vorletzte Aufgebot der deutschen Politik, und ich will nicht, dass es kaputtgeschrieben wird, weil dann das letzte Aufgebot regiert« 122 , dann könnte man meinen, er sei selbst ein Parteiführer, der sich um die nächste Kabinettsbildung Sorgen machen müsse. Forderungen wie die von Jörges reflektieren einen tiefgreifenden Transformationsprozess des Journalismus. Der Kurs, den dieser einschlägt, führt immer weiter weg von der Idee der schreibenden (oder sendenden) Zunft als Moderator eines gesamtgesellschaftlichen Zeitgesprächs und hin zu einem Verständnis des Journalismus als Schiedsrichter im politischen Tageskampf, als Letztinstanz, die darüber zu entscheiden hat, welche Position im politischen Diskurs die richtige und allein selig machende ist.
Wie weit der Weg ist, den der Journalismus zurückgelegt hat, zeigt ein Blick in einen der klassischen Texte der bundesdeutschen Journalismustheorie. Ende der 1960er-Jahre schrieben Peter Glotz und Wolfgang Langenbucher in ihrem berühmten Buch
Der missachtete Leser
: »Die öffentliche Aufgabe des Journalisten – wenn man diesen ominösen Begriff schon verwenden will – besteht nicht in der öffentlichen Kundgabe seiner privaten ›Gesinnung‹, sondern sie liegt in der Betreuung, Förderung und Beförderung gesellschaftlicher Zeit-Kommunikation. In der demokratischen Gesellschaft werden Regierung und Verwaltung nicht von einer zufällig zusammengesetzten Gruppe von Privatleuten – den Journalisten – ›kontrolliert‹, vielmehr kontrolliert die gesamte organisierte und nichtorganisierte Gesellschaft in einem offenen Meinungsbildungsprozess. Diesen Prozess hat der Journalist anwaltschaftlich zu betreuen. Er soll diese Diskussion fördern, kann selbst als gleichberechtigter Gesprächspartner mitsprechen, verfehlt |152| aber seine ›öffentliche Aufgabe‹, wenn er gemäß seiner Gesinnung das Gespräch zu reglementieren beginnt.« 123 Glotz und Langenbucher entwarfen damals ein kommunikatives Modell des gesellschaftlichen Zeitgesprächs, in dem der Journalist der Betreuer des öffentlichen Diskurses, nicht der Einpeitscher der veröffentlichten Meinung sein sollte. Der Schweizer Publizist Frank A. Meyer stellte 2006 fest: »Die Medien als selbstbezogene gesellschaftliche Kraft, die es zu befriedigen gilt, neben, ja sogar vor allen anderen Kräften wie Wirtschaft und Kultur und Volk. Noch nie habe ich dieses neue journalistische Selbstverständnis so unverhüllt erlebt wie jetzt gerade in Deutschland.« 124
Dabei repräsentiert der Journalismus immer weniger die gesamte Gesellschaft und wird mehr und mehr zu einer Veranstaltung von den Mittelschichten für die Mittelschichten. Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl haben dies in ihrer großen Studie
Die Souffleure der Mediengesellschaft
über den Journalismus in Deutschland empirisch dokumentiert. Ihren Daten zufolge ist der durchschnittliche deutsche Journalist männlich (zu 63 Prozent) und knapp 41 Jahre alt; er stammt aus der Mittelschicht, lebt in einer festen Partnerschaft (zu 71 Prozent) und ist kinderlos (zu 57 Prozent). Er hat einen Hochschulabschluss (69 Prozent) und ein Volontariat absolviert (63 Prozent), arbeitet bei einem Printmedium (61 Prozent) und verdient rund 2300 Euro netto im Monat. 125 Immer öfter bildet sich dieses private Umfeld der Medienmacher direkt in der Medienberichterstattung ab, etwa wenn leidenschaftlich um den Charakter des Prenzlauer Bergs als Wohnquartier gestritten wird, Integrations- und Beschulungsfragen verhandelt werden oder Bebauungspläne zur Diskussion stehen. Durch seine hohe Selbstbezüglichkeit bildet das journalistische Biotop also zunehmend seine eigene Welt ab und reproduziert diese immer |153| wieder, in dem es die eigenen Lebens- und Sichtweisen zum Standard ausruft. Der deutsche Journalismus ist in den letzten zehn Jahren verspielter, leichter und weniger inhaltsschwer geworden. Lifestyle- und Kinderbetreuungsthemen spielen auch in seriösen Blättern wie der
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