Die erregte Republik
Hauptstadtjournalismus, der |158| nach dem Motto verfährt: »es wurde alles schon gesagt, nur noch nicht von mir«, macht hier seine eigenen Parameter – Namedropping, Personalisierung, Gerüchte, Verschwörungstheorien – mehr und mehr zur Messlatte der Politikbeobachtung. »Das sagt zunächst etwas aus über den Betrieb in der Hauptstadt«, beobachtet Detlef Esslinger in der
Süddeutschen Zeitung
. »Diesem liegt zum einen nichts ferner als Zweifel an der eigenen Bedeutsamkeit, zum anderen gibt es dort eine Menge Akteure, die sich sehr viel lieber mit Klatsch im weitesten Sinne denn mit Sachthemen befassen. Es sendet und schreibt sich ja auch sehr viel leichter über die Kanzler- oder sonstigen Aussichten eines Guttenberg, als den Feinheiten von Sozialgesetzbuch II oder dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich nachzuspüren. Manche Berlin-Mitte-Autoren ziehen es vor, zum Sujet ihrer Beiträge vor allem den tatsächlichen oder vermeintlichen Charakter des von ihnen sezierten Politikers zu machen; vor der Fertigstellung gehen sie dann noch schnell mit der Bitte zu Kollegen, ein wenig ›Sachkack‹ beizusteuern, wie der Ausdruck dafür in einer der vielen Dutzend Hauptstadtredaktionen lautet. So ist das Biotop am Spreebogen; wer sich als Politiker darüber beklagt, hätte das vorher bedenken sollen.« 133
Die Idee, dass Politik auch mit Werten, Überzeugungen und Positionen, für die es sich zu streiten lohnt, zu tun hat, kann in einem solchen Milieu gar nicht erst aufkommen. Jede Handlung der Politik wird so analysiert, als ginge es nicht um die Adjustierung unseres Gemeinwesens auf die Herausforderungen der Zukunft, sondern ausschließlich um kleine Geländegewinne und den Schaden im Laden des Gegners. Es wird in der medialen Diskussion dann nicht mehr verhandelt, ob Ursula von der Leyen eine gute Arbeits- und Sozialpolitik macht, sondern nur noch darum, ob mit einer Ärztin und siebenfachen Mutter die Rolle der Sozialpolitik aus Sicht der Union angemessen |159| besetzt ist und welches Gesicht die SPD als Alternative zu dieser Ministerin aufbauen könnte. Politiker werden so zu reinen Rollenträgern vorher zugewiesener Images, mit denen als strategisch wichtig erachtete Positionen abgesichert werden sollen. Letztlich steckt dahinter eine unpolitische Ästhetisierung der Politik. Denn das Handeln politischer Akteure wird nicht nach den Regeln der politischen Aushandlungskunst, sondern nach den Prinzipien der Theatralität, der vollendeten Inszenierung bewertet. Dies ist freilich ein Trugschluss, denn die Medien verwechseln immer häufiger die sich ihnen öffnende Bühne der Politikdarstellung, die sie selber mit prägen, mit dem Politischen an sich. Mit wirklichen politischen Anliegen, mit durchdachten und ernst gemeinten Programmen noch durchzudringen, wird für Politiker unter diesen Bedingungen immer schwieriger.
Medieneinfluss kann offen und brutal sein – wie bei der Bevorzugung des Kandidaten Joachim Gauck gegenüber Christian Wulff bei der Bundespräsidentenwahl 2010 –, doch meist ist er subtil und nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Dass die Medien gezielt für den politischen Schlagabtausch genutzt werden, erfährt der normale Leser oder Zuschauer gewöhnlich überhaupt nicht. Manchmal werden Hintergründe nur durch Zufall aufgedeckt oder erst in der längerfristigen Chronologie verständlich. So brachte der
Spiegel
in seiner Ausgabe 21/2010 auf seinen im politischen Berlin gefürchteten
Panorama- Seiten
eine ungewöhnlich weich anmutende Meldung: Hessens Innenminister Volker Bouffier drohe eine Hausdurchsuchung, weil er den »vakanten Posten eines Bereitschaftspolizeipräsidenten rechtswidrig einem ihm nahestehenden Parteifreund zugeschanzt« habe. 134 Der Vorgang war in Hessen längst öffentlich und im Prinzip wenig brisant, wie sich bei näherer Lektüre herausstellte. Der tiefere Sinn der
Panorama- Meldung
wurde erst |160| zwei Wochen später deutlich: Da kündigte Ministerpräsident Roland Koch für die Öffentlichkeit überraschend seinen Rücktritt an und rief Bouffier zu seinem Nachfolger aus. Ganz offensichtlich war der
Spiegel
aus einer gut unterrichteten Quelle gefüttert worden, die mit Kochs Nachfolgeregelung nicht einverstanden war.
Sind dies gänzlich neue Entwicklungen? Hat nicht schon Bismarck systematisch Falschmeldungen lanciert, um seine Gegner zu diskreditieren? Natürlich haben Medien schon immer politischen Einfluss gehabt, mit diesem kokettiert und ihn dann
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