Die erregte Republik
auf gegenseitige Schuldzuweisungen und mahnten zum
business as usual
. Bei der Verleihung des Journalistenpreises 2009 von Helios Media, einer Firma, die sich für die Inszenierung des Glitters der Berliner Medienwelt zuständig fühlt, wurden die
Bild
-Redakteure Oliver Santen und Thomas Drechsler ausgezeichnet. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, begründete dies damit, die beiden Boulevardjournalisten hätten in der Finanzkrise der »Versuchung reißerischer Schlagzeilen widerstanden«. Sichtlich waren die Medien bemüht, das Bild eines Weltenbrands zu vermeiden. Die
Financial Times
änderte im Oktober 2008 kurz vor Andruck ihre Titelseite. Aus »The world in fear« – Die Welt in Angst – wurde: »The world in turmoil« – Die Welt in Unruhe. 118 Dies entsprach einer Rollenzuweisung an die Medien, wie sie der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller vorgegeben hatte, als er beim Tag des Wirtschaftsjournalismus 2008 verlangte, dass |149| dieser »systemstabilisierend« sein müsse. 119 Der Herausgeber des
Freitag
, Jakob Augstein, berichtet in diesem Zusammenhang von einem merkwürdigen Treffen, das am 8. Oktober 2008, kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, stattgefunden haben soll. Die Bundeskanzlerin hatte für jenen Tag die Chefredakteure der wichtigsten deutschen Medien eingeladen. »Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre, und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.« 120
Hier war ein schamhaftes Gefühl am Werk, das Politiker, Journalisten und Wirtschaftskapitäne gleichermaßen teilten: Das Wissen, dass sie alle miteinander jahrelang auf ein ökonomisch falsches Paradigma gesetzt hatten: die rot-grüne Regierung, die 1998 per Koalitionsvertrag die Deregulierung der Finanzmärkte vereinbart hatte, um »die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland zu stärken«, die Medien, die unkritisch über Hedge-Fonds, Private Equity und den schnellen Weg zum großen Geld fabuliert hatten, und die Finanzwirtschaft, die immer weitere Lockerungen der staatlichen Bankenaufsicht verlangt hatte. Doch all das war plötzlich Geschwätz von gestern.
Dies zeigt einmal mehr, warum es für die Politik so gefährlich ist, den Einflüsterungen der Medien und anderer Einflusseliten zu erliegen. Durch ihren beständigen Modernisierungsdiskurs wird Politik immer mehr zur Kurzatmigkeit, zum schnellen Handeln gedrängt. Denn Beschleunigung strebt nach permanenter Veränderung. Nichts darf so bleiben, wie es ist. Es geht stets darum, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. |150| Die große Reform von gestern wird heute schon wieder reformiert. Die Schlagworte lauten Zukunftsfähigkeit, Fitness – wahlweise der Hartz-IV-Empfänger, der dicken Kinder oder gleich der ganzen Volkswirtschaft –, Anschluss an die Globalisierung, digitale Revolution, demografischer Wandel. Das einzige Problem der ständigen politisch-medialen Umwälzungen: Sie hängen die Menschen ab. Den Tenor, mit dem die Medien über die Politik urteilen, beschrieb Gunter Hofmann 2004 so: »Die Politik traue sich vor allem aus Furcht vor dem tendenziell konservativen ›Publikum‹ die langfristig notwendigen Einschnitte in den Sozial-, Wohlstands- und Industriestaat alter Art nicht zu. Den Rest, so wird gern behauptet, besorge die Unfähigkeit der politischen Klasse selber.« Seiner Wahrnehmung entspreche das nicht: »Es trifft nicht zu, wie gern behauptet wird, die Bundesrepublik sei unbeweglich, unglücklich, pessimistisch, und aus Rücksicht auf die unflexiblen Menschen, die auch noch Wähler sind, sei die Politik vorsichtig, langsam, unbestimmt. Sie fürchte abgestraft zu werden, heißt es. Gestern habe es die Sozialdemokraten getroffen, morgen könnten die Christdemokraten an der Reihe sein. Daher wagten sie nicht, über den demographischen Niedergang, über den grenzenlosen Arbeitsmarkt, über die Unbezahlbarkeit des Sozialstaats offen zu reden. Ich halte das für eine Ausrede.« 121
Trotz mahnender Stimmen wie der gerade zitierten konnte eine derart geballte Reformrhetorik nicht ohne Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs bleiben – vor allem, weil mit dem Heraufziehen des
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