Die erregte Republik
der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
eine herausgehobene Rolle. Die Mittelklasse-Lebenswelt gut verdienender Journalisten um die vierzig bildet – von Rosenzucht bis Rasenmähen – zunehmend den Referenzrahmen für die Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten. In der Berichterstattung überwiegt eine Mischung aus »journalistischer Behäbigkeit und schriller Thesenpublizistik« 126 , wie Lutz Hachmeister prägnant feststellt, also wenig hart recherchierte Fakten und viel subjektive Meinung, die sich freilich stets dann mit Empörung mischt, wenn die spezifischen Interessen dieser sozialen Schicht beschnitten werden.
All dies begünstigt den Trend zum steigenden Konformitätsdruck innerhalb des journalistischen Berufsstands und macht ihn anfällig für jene überdrehte Aufgeregtheit, die Heribert Prantl einmal Kikeriki-Journalismus genannt hat: eine Form des Herdentriebs, in der das laute Krähen die sachlichen Stimmen übertönt. Geradezu prototypisch für die neuen Sitten ist die Affäre um den im Spanienurlaub gestohlenen und bald darauf wieder aufgefundenen Dienstwagen der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Wahlkampfsommer 2009, der wochenlang wichtiger war als die Milliarden, die dumme deutsche Banker aus Habsucht oder Unfähigkeit versenkt hatten und für die der Staat nun einspringen musste. Obwohl der Schaden für den Steuerzahler weniger als tausend Euro betrug, füllte der Dienstwagenskandal tagelang die Titelseiten und ist wohl auch rückblickend das Eindrücklichste, was von Ulla Schmidts achtjähriger Amtszeit als Gesundheitsministerin im Gedächtnis haften blieb. Denn Gesundheitspolitik ist |154| so kompliziert, dass die meisten Leute sie auch dann nicht verstehen, wenn sie unmittelbar von ihr betroffen sind. Dass zum Beispiel die neue schwarz-gelbe Koalition nur wenige Monate nach der Schmidt-Affäre den Ausstieg aus dem mehr als hundert Jahre alten System der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung einleitete, ging in der breiten Öffentlichkeit vollkommen unter. Wäre die Schmidt-Spanien-Aufregung auf den Boulevardjournalismus beschränkt geblieben, hätte man dies verstehen können, denn es gehört zum Strukturprinzip der Yellow Press, das Einzigartige und Spektakuläre herauszugreifen und damit das Normale und Routinehafte zu überlagern. Doch auch die seriösen Medien stiegen in die Dienstwagen-Story voll ein und bedienten damit die oberflächliche Affektkommunikation der in ihr zum Ausdruck kommenden antipolitischen Reflexe. Vor allem konterkarierte im Wahlkampf 2009 die Dienstwagen-Affäre von Schmidt aber den Versuch des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, mit seinem »Deutschland-Plan« ein grundlegendes programmatisches Dokument für seine (freilich unwahrscheinliche) Kanzlerschaft vorzulegen. Markus Feldenkirchen befand damals im
Spiegel
: »Wer sich in den vergangenen Tagen mit Politik beschäftigen wollte, hatte die Wahl zwischen einem ziemlich dicken Dienstwagen und einem ziemlich dicken Papier. (…) Dienstwagen und Papier konkurrierten um Aufmerksamkeit. Um Raum und Zeit, in den Zeitungen, den Fernsehnachrichten, in Gesprächen, an Stammtischen. Zur Wahl standen zwei Möglichkeiten der Wahrnehmung von Politik. Im Kampf um Aufmerksamkeit hatte Steinmeiers Papier keine Chance. In einer Zeit, da sich politische Debatten der Länge von Fernseh- und Twitter-Nachrichten annähern, sind 67 Seiten Papier eine Zumutung für alle Beteiligten. Für Bürger, Journalisten, Politiker. Viele Politiker und Kommentatoren werteten |155| den Plan schon als Unsinn, bevor sie ihn gelesen hatten. Die Zumutung wurde rasch entsorgt, die Debatte um Ullas Auto ging weiter. Man muss weder Schmidts Instinktlosigkeit gutheißen noch Steinmeiers Plan mögen, um zu sehen, dass im politischen Diskurs die Prioritäten durcheinandergepurzelt sind. Der fragwürdige Gebrauch eines Dienstautos ist nicht relevanter als der Plan eines Vizekanzlers – mag dieser auch viele Schwächen haben.« 127 Feldenkirchen resümierte: »Die Demokratie in Deutschland leidet an der Faulheit ihrer Teilnehmer. Es ist viel leichter, über Dienstautos zu reden als über die Arbeit der Zukunft. Man benötigt keine Vorbildung, muss nichts gelesen haben, braucht keine eigenen Gedanken. Es genügt ein entschiedenes ›So nicht, meine Herren‹, die simpelste Form der politischen Einmischung. Man braucht nur einen Bauch, und den hat jeder.« 128 Und genau diesen Bauch wollen die Medien heute
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