Die erregte Republik
Medienberichterstattung zunehmend beides: oberflächlich in den Inhalten und massiv konzentriert in der Intensität. Es gibt kaum eine Tageszeitung, die in den vergangenen Jahren nicht Personal abgebaut hat. Immer häufiger kommt es zur Vortäuschung publizistischer Pseudo-Vielfalt, etwa wenn die Springer-Blätter
Welt
und
Berliner Morgenpost
identische Artikel drucken oder die Politikteile von
Berliner Zeitung
,
Frankfurter Rundschau, Mitteldeutscher Zeitung
und
Kölner Stadtanzeiger
alle von der in Berlin ansässigen Du-Mont-Redaktionsgemeinschaft |163| zugeliefert werden. Damit einher geht auch eine Verschiebung innerhalb der Hierarchie der Leitmedien:
stern
und
Spiegel
haben an Bedeutung eingebüßt. Für die
Frankfurter Rundschau
, die traditionelle linksliberale Stimme der Republik, kam im Frühjahr 2011 das Aus als eigenständiger Print-Titel. Die
Süddeutsche Zeitung
hat ihr liberales Profil in den letzten Jahren zum Teil in Richtung einer neuen Bürgerlichkeit korrigiert und ist kommerzieller geworden. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat seinen politischen Informations- und Analyseanspruch weitestgehend aufgegeben und fungiert mehr und mehr als Service- und Infotainment-Anbieter. Gerade hier sind die Entwicklungen dramatisch. »Es geht nicht darum«, urteilt der Medienkritiker Stefan Niggemeier, »dass die öffentlich-rechtlichen Sender bestimmte Genres komplett den Privaten überlassen sollten. Es geht darum, dass es den Anschein hat, als hätten ARD und ZDF jedes Maß und das Gefühl für die richtigen Prioritäten verloren. Die Verantwortlichen haben offenbar weitgehend die Denkweise kommerzieller Sender verinnerlicht.« 138
Die schleichende Infantilisierung einstmals seriöser Medien schreitet so immer weiter voran. Nicht nur das Fernsehen, auch die Qualitätszeitungen sind in den letzten Jahren lauter, bunter und boulevardesker geworden. Die übermächtige Agenda-Setting-Funktion der Boulevardmedien übt hier einen Druck aus, dem sich auch seriöse Medien nicht entziehen können. Wenn Lady Gaga, Charly Sheen oder Stefan Raab im Boulevard prominent vorkommen, sind sie als Personen öffentlichen Interesses gesetzt und tauchen dann auch zwangsläufig in der Berichterstattung der seriösen Medien auf. Entsprechend gibt es keinen klar geschiedenen Dualismus von seriösen Nachrichtenmedien und Boulevard mehr. Vielmehr ist ein Geleitzug entstanden, in dem alle Medien mitsegeln. Die Wechselwirkung |164| der Nachrichtenbeschleunigung wird so kontinuierlich verstärkt. Nuancen sind zwar nach wie vor zu beobachten, doch die Grenzlinien verflüssigen sich zusehends. »Die alte Bedeutung der Schlagzeilensetzung und Kommentarlinien der überregionalen Zeitungen dafür, wie im Regierungszentrum und in den Planungskonferenzen der elektronischen Medien das öffentliche Stimmungsbild bewertet wird, bleibt erhalten«, schreibt der langjährige Hauptstadtkorrespondent der
Frankfurter Rundschau
, Richard Meng. »Welche Schlagzeile entsteht und wie kommentiert wird, bleibt umgekehrt aber mitbeeinflusst durch ein Gesamtmedienbild, in dem sich im allseitigen Wettbewerb um Aufmerksamkeit ein teils aggressiver, eher skrupellos denn mutig zu nennender politischer Journalismus entwickelt hat: Da kommt es schnell zu tagesaktuellen Zuspitzungen, die man sich vor ein paar Jahren noch verkniffen hätte. Der politische Journalismus gerät unter Anpassungsdruck; es relativieren sich seine meinungsführenden Freiräume, auch weil die Topthemen immer personenbezogener daherkommen.« 139
Die alte These, dass das Mediensystem im Zweifelsfalle auch ohne Politik, die Politik aber keinesfalls ohne die Medien existieren kann, bekommt durch die Boulevardisierung neue Nahrung. Denn dadurch, dass die Medien Politik wie jeden anderen Stoff behandeln, dass Michael Schumacher und Angela Merkel auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen und bunten Magazine beliebig austauschbar sind, unterwerfen die Medien die Politik nicht nur denselben Aufmerksamkeits- und Aufbereitungsregeln wie die Popkultur oder den Rennsport, sondern sie emanzipieren sich auch zusehends von der Politik, auf die sie als Stofflieferant weniger und weniger angewiesen sind. Politik ist längst zu einer Ware unter vielen geworden. Und sie rangiert unter den Stoffen, mit denen Medien Geld verdienen können, beileibe nicht an erster Stelle. Davon ist auch die Politikberichterstattung |165| betroffen, welche die veränderten medialen Präsentationsregeln nicht ignorieren
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