Die erregte Republik
ausgespielt, wenn sie den Moment für gekommen hielten. Nicht umsonst gründete Napoleon in jedem von ihm besetzten Land eine eigene Zeitung. Auch die Wissenschaft hat die Idee, dass die Presse das politische Geschehen nur spiegele, ohne auf es zurückzuwirken, schon 1908 auf dem Berliner Historikertag ad acta gelegt, als der Geschichtswissenschaftler Martin Spahn einen viel beachteten Vortrag über die problematische Rolle der Zeitung als Quellengattung hielt. Und trotzdem lässt sich für den größten Teil des 20. Jahrhunderts – mit Ausnahme der Zeit der großen Diktaturen – feststellen, dass die Medien den Primat des Politischen akzeptiert haben, dass Dinge, die im politischen Raum geschahen, ihren Weg in die Medien fanden und dort – wenn auch im Einklang mit den medialen Eigengesetzlichkeiten – bearbeitet wurden. Diese traditionelle Trennung zwischen der politischen Sphäre und ihrer medialen Spiegelung scheint mehr und mehr abhanden zu kommen. Neue, hybride Formen von
media politics
entstehen, da Medien in den voll entwickelten Mediengesellschaften zu eigenständigen politischen Akteuren werden – und damit zu den wichtigsten Orientierungsgrößen für die Politik. Das heißt auf der einen Seite, dass sich die Politik immer mehr der medialen Darstellungs- und Verwertungslogik anpasst: Politische Ereignisse werden im Hinblick auf die zu erwartende |161| Medienberichterstattung geplant, politisches Personal aufgrund seiner Medientauglichkeit ausgewählt, politische Inhalte den – in der Regel recht geringen – Möglichkeiten der Medien, Komplexität zu verarbeiten, angepasst. Mediale Präsenz wird immer mehr zur Ersatzhandlung für die im Zeitalter der Globalisierung schwindenden Handlungsmöglichkeiten der Politik, zu einem Placebo für realen Einfluss. Dies ist die Qualitätsveränderung aufseiten der Politik.
Andererseits geht auch an den Medien selbst ihr gewachsener Einfluss nicht spurlos vorbei. Da eben nur das relevant ist, was in ihnen auftaucht, ist die Versuchung für Medienmacher groß, aktiv ins politische Geschehen einzugreifen. Seit der Jahrtausendwende häufen sich neuartige, kampagnenhafte Einmischungen der Medien auch in den Kernbereichen der Politik. Medienhandeln wird zum Ersatzhandeln für nicht mehr stattfindende Politik, was im Zeitalter der symbolischen Substitution politischer Substanz gar nicht mehr auffällt: Immer häufiger schreiben Journalisten in ihren Kommentaren, was ein Regierungschef oder ein Minister möglichst tun oder unterlassen sollte – wenn auch keiner dieser Kommentatoren jemals in die Situation geraten würde, seine Entscheidungen auf einer internationalen Konferenz machtbewusster Staatschefs oder in einer Versammlung wütender Bürger rechtfertigen zu müssen. »Die Tendenz vieler Journalisten, sich nicht länger als Teil unseres politischen Systems zu begreifen, sondern sich diesem System wie fremd gegenüberzustellen, ist unübersehbar«, warnt Susanne Gaschke. »Doch die Demokratie gerät in Gefahr, wenn Medienleute, wie im Augenblick, ihr höchstpersönliches Gelangweiltsein am Publikum auslassen; wenn sie sich für ein Ersatzvolk halten; wenn sie lieber Politikern Haltungsnoten erteilen, als die gar nicht so selbstverständlichen Bedingungen politischen Handelns zu erklären.« 135 Und Tom Schimmeck |162| stellt erschreckt fest, »dass sich viele Medienleute nicht mehr als Mittler zu den Menschen, sondern als Mitinhaber von Macht begreifen. Ihre Währung heißt Wichtigkeit. Sie suchen die Nähe anderer ›Wichtiger‹, möglichst im Fernsehen.« 136 Sabine Adler, Büroleiterin beim
Deutschlandfunk
in Berlin, erkennt das ganz offen an: »Natürlich sind wir alle Wichtigtuer«, gibt sie im Interview mit Leif Kramp und Stephan Weichert zu Protokoll. »Das hat weniger mit Eitelkeit zu tun, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wir bekommen qua unserer Profession eine Bedeutung, weil wir die Medien benutzen können, um uns – bewusst oder unbewusst – in Szene zu setzen. Niemand sonst bekommt mit seiner unmaßgeblichen Meinung derartig viel Aufmerksamkeit.« 137
Mediendämmerung
Begleitet wird dieser Prozess der schleichenden kommunikativen Landnahme von einem Strukturwandel der Medien. Durch Konvergenzprozesse zwischen Print und Online, die task-force-mäßige Organisation von Redaktionen und Ressorts, einen zunehmend spürbaren Einfluss des Boulevards und die Vervielfältigung der Medienkanäle bei sinkenden Personalzahlen in den Redaktionen wird
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