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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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kann und ihren Stoff so aufbereiten muss, dass er mit dem grellen und bunten Material der anderen Redaktionen mithalten kann.
    Die Entwicklung des politischen Journalismus in Deutschland nur als Verfallserscheinung zu beschreiben, wäre trotzdem verfehlt. Der
Spiegel
zum Beispiel war vermutlich professionell gesehen noch nie so gut wie in den Jahren nach der Ära Aust. Richtiger ist wohl: Spitzenleistungen in einem schmalen Segment des Journalismus, zu dem die
Süddeutsche
, die
F.A.Z.
und die
Zeit
, der
Deutschlandfunk
und einige Redaktionen von ARD und ZDF zählen, stehen neben einer breiten Tendenz zur Deprofessionalisierung und Vermarktlichung des Journalismus. Für den Fernsehjournalisten Thomas Leif bietet die deutsche Medienlandschaft heute jenseits der herausragenden Premium-Angebote nicht viel mehr als die Kommentierung von Marketing und das Recycling von Fremdmaterial: »Viele Medienproduzenten leben von gefilterter Luft, verstehen sich als Textmanager von zugeliefertem ›Content‹, als Experten für suchmaschinenoptimierte Überschriften und als begnadete Teaser-Texter.« 140 Zu konstatieren ist insgesamt eine stereotype Standardisierung der Medien. Ein Journalismus zieht herauf, dem die Balance von Wichtigkeit und Wahrhaftigkeit auf der einen und Eingängigkeit und Aufmerksamkeit auf der anderen Seite verloren geht. Nicht mehr der Gehalt einer Geschichte ist entscheidend, um journalistische Berichterstattung auszulösen, sondern ihre Erzählbarkeit. PR-Altmeister Klaus Kocks postuliert, zumindest aus seiner Perspektive, folgerichtig: »Der Wirklichkeit gerecht werden ist für Journalisten kein Kriterium. Wir, PR-Leute wie Journalisten, folgen nicht dem Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden, sondern wir wollen Geschichten zu Ende erzählen.« 141 Das erinnert an ein altes |166| Diktum Walter Lippmanns, der trocken festgestellt hatte: »News and truth are not the same thing.«
    Die eigentliche Paradoxie der allgegenwärtigen Medialisierung ist aber, dass der weiter und weiter fortschreitende Medieneinfluss von einer Deprofessionalisierung und personellen Aushöhlung des Journalismus begleitet wird. Redaktionen werden zusammengelegt und Redakteure in
newsrooms
zusammengepfercht, in denen sie von ihrem Schreibtisch aus die unterschiedlichsten Mediengattungen parallel bedienen müssen.
    Die Rezession des Werbemarktes im Gefolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die gerade bei den traditionellen Printmedien auch noch eine lange verschleppte Strukturkrise offen legte, hat diesen Prozess noch einmal beschleunigt. Die Folge ist Qualitätsverlust bei extrem verschärftem Wettbewerb, der eine gleichzeitige Verdichtung und Hysterisierung der Kommunikation bedingt. Im Wust von Positionen und Gegenmeinungen gelingt es immer weniger, kenntlich zu machen, was wichtig ist und was nicht. Wenn bei jeder Gelegenheit in den höchsten Tönen Alarm geschlagen wird, wenn ständig die innere Sicherheit, der Wohlstand oder die Fortexistenz des Sozialstaats in Frage gestellt werden, ist für die Menschen irgendwann kein Bezug zum realen Erleben mehr herstellbar. Die Finanzmarktkrise von 2008/09, nach deren Ende der einhelligen Meinung zufolge nichts mehr so sein würde, wie es vorher war, verschwand und machte einer Sonderkonjunktur in Deutschland Platz, bevor sie überhaupt in den Köpfen angekommen war. »Was aber ebenso schnell verschwindet, wie es aufgetaucht ist, kann gar nicht wichtig sein«, urteilt Tissy Bruns. »Die schnelle Abfolge von Konflikten, Themen, Zerreiß- und Machtproben, als die Politik in der Themenagenda der Medien erscheint, zerlegt langsame, widersprüchliche Prozesse in viele kleine Bilder. Niemand weiß – und erst recht kann niemand |167| steuern –, wer wann welches dieser Einzelbilder wahrnimmt und wie es bewertet wird.« 142 Das langsame Prozesstempo politischer Entscheidungsfindung in Mehrebenensystemen wird durch die Medien systematisch überfordert und die Abbildung des politischen Prozesses durch den Stichflammenjournalismus zerrissen. Nur noch einzelne Strobo-Flak-Schlaglichter beleuchten isolierte Segmente, wo es doch eigentlich um das Erklären der großen Zusammenhänge ginge.

|168| 6. Die entfesselte Politik
    Die Abdankung der politischen Klasse und die Erosion der Demokratie
    Die Politik reagiert auf die neuen Kommunikationsverhältnisse mit einer gefährlichen Umarmungsstrategie. Eigentlich müsste es ihre Aufgabe sein, Bollwerke gegen die Überformung des Politischen zu

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