Die erregte Republik
Medien gar nicht in der Lage sind, die Fülle der aktuellen Politikprojekte flächendeckend zu beobachten, auszuleuchten und zueinander in Beziehung zu setzen, fischen sie weiter an der Oberfläche, gehen munter auf O-Ton-Jagd und versuchen unbeirrt, aus drei nicht zusammenhängenden Sachthemen auf Teufel komm raus ein personales Konfliktthema zu basteln. Auch für die tieferen weltanschaulichen Fundamente der Parteien interessieren sich die Medien in der Regel nicht. Und weil sie diese ignorieren, ist Politik für sie fast immer nur Schlagabtausch an der Oberfläche, kurzfristiges Taktieren, der schnelle Hieb auf den Gegner und die inhaltsleere |171| Geste vor den Fernsehkameras. Thomas de Maizière beschrieb diesen blinden Fleck der Medien vor einigen Jahren so: »Der Politiker ist in seinem Kerngeschäft unsichtbar. Er ist vorwiegend im Randgeschäft sichtbar: Bei Reden, bei Empfängen, bei Eröffnungen, als Zuschauer, kaffeetrinkend in Konferenzsälen oder mit einem Sektglas in der Hand. Als Arbeit des Politikers wird visuell überwiegend das dargestellt, was bei anderen Menschen eher mit Nicht-Arbeit verbunden wird. Natürlich ist eine Rede eine Arbeit. Manchmal ist auch das Zuhören einer Rede eine Arbeit. Das ist, was sichtbar wird. Aber das eigentliche Kerngeschäft des Politikers ist nicht sichtbar. Ich meine damit nicht Mauscheleien im Hinterzimmer. Ich meine Verhandlungen, ich meine Besuche ohne großen Begleitertross und Presse, ich meine Aktenstudium und Rücksprachen. Das ist jedenfalls nicht sichtbar für die Medienöffentlichkeit. Daraus folgt: Die Versuchung für den Politiker und für den Journalisten besteht in der Mediendemokratie darin, das Randgeschäft, also das sichtbare Geschäft, zum eigentlichen Kerngeschäft zu machen. Und das geht zu Lasten der Qualität von Politik.« 144
Während es also der Politik nicht gelingt, ihre eigenen Anliegen adäquat in die Medien zu tragen, gilt umgekehrt, dass die Medien nicht in der Lage sind, ein konsistentes Bild des Politischen zu zeichnen. Diesen Effekt macht sich die Politik zunutze, um die Medien auf der Vorderbühne mit den von ihnen verlangten Inszenierungen zu bedienen, aber im Hinterzimmer ihr eigenes Programm weiter zu verfolgen. Die Politik schaltet also den Autopiloten ein, ignoriert die Medien nach Möglichkeit und sucht die Referenzpunkte für die Prüfung ihrer Realitätstüchtigkeit vor allem innerhalb der politischen Klasse selbst. Sie tritt damit den Weg ins Biotop an – oder den in den Bunker. Dort werden dann Konzepte wie Merkels berühmtes »Durchregieren« oder Schröders »Politik der ruhigen Hand« geboren, |172| die vor allem eines beweisen sollen: dass die Politik auch in feindlicher Umwelt noch aktionsfähig ist. Richard Meng, der nach vielen Jahren bei der
Frankfurter Rundschau
die Seiten gewechselt hat und nun Sprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin ist, stellt fest: »Längst kehrt sich die Lehrbuchweisheit um, dass Öffentlichkeit für die Demokratie immer etwas Gutes sei. Kluge Politik kann unter solchen Umständen eher darin bestehen, dem öffentlichen Negativismus aus dem Weg zu gehen, als ihm (gut gemeinte) Vorlagen zu liefern, die dann nur noch als Alibi dienen, die ›Gegenseite‹ gehört zu haben.« 145 Dauerhaft gut kann das nicht gehen. Ein weiterer Vertrauensverlust der Politik ist vorprogrammiert. Denn durch ihren Rückzug ins geschützte Reservat tritt die Politik aus der Gesellschaft ab, ohne dass das entstehende Vakuum gefüllt werden könnte.
Misstrauensgemeinschaften
Wenn die oft als harmonisch beschriebene Beziehung von Politik und Medien strukturell von Nicht-Verstehen geprägt ist, muss sich dies auch auf der personalen Ebene des Umgangs zwischen Politikern und Journalisten niederschlagen. Die Beziehungen hier lassen sich am ehesten als Zweckgemeinschaft beschreiben: Man braucht einander, doch man liebt sich nicht unbedingt. Jürgen Leinemann befand im Jahr 2005 über das Verhältnis der Politiker zu seiner Zunft: »Nein, sie trauen uns nicht wirklich mehr, glaube ich.« 146 Und hätten sie denn nicht Gründe genug dafür? Hans Mathias Kepplinger, Professor der Kommunikationswissenschaft in Mainz, befragte 2008 187 Bundestagsabgeordnete und 235 Journalisten. Sein Resultat: 78 Prozent der Abgeordneten glauben, dass Medien in ihrer Berichterstattung |173| ihre Eigeninteressen ausspielen. 51 Prozent der Tageszeitungsjournalisten erklärten, Politiker hätten schon einmal durch
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