Die erregte Republik
dieser Situation wirklich bedrängen, das offensichtlich Gebotene zu tun, da seine enorme Popularität ihn schützte. Der Schaden für die Demokratie war zu diesem Zeitpunkt längst eingetreten: Bei einem Rücktritt Guttenbergs war zwangsläufig eine Welle der Empörung zu erwarten, dass die verkommenen politischen Eliten den Hoffnungsträger wegen kleinerer Verfehlungen vom Hof jagen – obwohl die doch »alle Dreck am Stecken haben«. Ein Verbleib Guttenbergs im Amt hingegen bedeutete einen Bruch mit den Regeln bürgerlichen Anstands, denn einen Betrüger in einem politischen Spitzenamt zu halten war bislang mit dem Verständnis der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar. Selbst wenn der Spuk bis zu Guttenbergs schließlichem Rücktritt nur noch drei Tage dauerte:
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hatte neue Regeln geschrieben. Wieder einmal wurden die Grenzen des Anstands und der Seriosität angesichts einer populistischen Inszenierung ein Stück weit verschoben. So steuert das Land, befeuert von
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und
Bunte
, unaufhaltsam in Richtung neuer Kommunikationsverhältnisse, in denen Anti-Politiker mit ihren gezielten Attacken auf die politische Klasse Stück für Stück Geländegewinne erzielen.
|209| 7. Am Ende?
Wo Politik auf Wut trifft
Die unübersehbare Krise der deutschen Demokratie lässt sich als Resultat mehrerer miteinander verknüpfter Entwicklungen verbuchen, die jede für sich als normale und unausweichliche Modernisierungsfolge gewertet werden kann. In der Summe führen diese Tendenzen jedoch zu einer fundamentalen Veränderung unseres Gemeinwesens. Will man diese plakativ auf den Punkt bringen, muss man von einem dreifachen Versagen sprechen: dem der Bürger in ihrer Rolle als
citoyens
, dem der Medien als Mittler im politischen Diskurs und Moderatoren des gesellschaftlichen Gesprächs und dem der Politiker als der professionellen Sachwalter des Gemeinwesens.
Beginnt man mit der Durchmusterung dieses Versagens bei den Bürgern, lässt sich feststellen, dass das Aufkommen der Stimmungsdemokratie mit einem neuen Typus des Bürgers korrespondiert, der immer weniger
citoyen
und immer mehr
bourgeois
und Konsument ist, der seine Marktmacht – sei es als Wähler, sei es als Mediennutzer – dazu gebraucht, egoistisch eigene Anliegen durchzusetzen, ohne an die Folgen für das Gemeinwesen zu denken. Das politische Engagement der Bürger richtet sich immer weniger auf Fragen, welche die grundlegende Ausgestaltung des Zusammenlebens betreffen. Stattdessen fokussiert es auf private Interessen im Nahbereich. Politische Projekte werden selektiv auf eigene Vor- und Nachteile abgeklopft. Wagt es die Politik, Privilegien in Frage zu stellen, setzt sofort ein ungebändigter Proteststurm ein. Selbstverständlich |210| gibt es berechtigte Wut und natürlich gibt es staatliche Projekte, deren Megalomanie nur durch geballten Widerstand gebremst werden kann. Was aber Sorgen machen muss, ist die dahinterstehende Haltung: Politikverachtung, die sich mit fundamentalistischer Besitzstandswahrung paart. In einem Leserbrief an die
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-Zeitung hieß es einmal wunderbar schizophren: »Erst machen die Politiker keine Reformen, und jetzt gehen sie auch noch an die Rente ran.« 184
Die Privatisierung der Demokratie geht dabei Hand in Hand mit einer stetig wachsenden Politikunkenntnis. Die Befunde der Medienwirkungsforschung sind erschreckend: Knapp 30 Prozent der von einem Forscherteam der Universität Jena befragten Fernsehzuschauer sind durch Fernsehnachrichten nicht zu erreichen, weil sie diese entweder gar nicht sehen, sich nicht an sie erinnern können oder deren Inhalt nicht verstehen. Ein erheblicher Teil der Zuschauer ist nicht in der Lage, Qualitätsunterschiede etwa zwischen
Kabel1
-Nachrichten und der
ARD-Tagesschau
zu bemerken. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Vor allem der Osten des Landes wird durch die Fernsehgewohnheiten der Menschen weiter entpolitisiert mit Folgen, die laut dem Jenaer Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann »für den Aufbau und den Bestand der Demokratie unabsehbar sind«. 185
An den Medien dürften solche erschreckenden Befunde des Versagens, insbesondere wenn man sie am eigenen Vermittlungsanspruch misst, eigentlich nicht vorbeigehen, liegt doch bei ihnen ein erheblicher Teil der Verantwortung für die politische Bildung und Information der Bevölkerung. Umso erstaunlicher ist, dass die meisten Redaktionen gar nicht erst den Versuch machen, einerseits das
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