Die erregte Republik
Politische als solches zu thematisieren und andererseits die Leser oder Zuschauer auch nur ein bisschen zu fordern. Stattdessen schnappen sie sich nach dem |211| Atomausstieg sofort den Taschenrechner und kalkulieren die Verbraucherpreise neu. Die Medien bereiten ihren Stoff stereotyp und unbeirrt nach Repräsentationsregeln auf, die letztlich nur zu Überdruss führen können. Statt ein gesellschaftliches Gespräch zu initiieren, das das Verbindende betont und auf Verständigung ausgerichtet ist, produzieren sie tagtäglich eine Kakophonie unzusammenhängender, sich widersprechender Nachrichten, die kein Bild des Ganzen mehr zu zeichnen vermögen. Der Mahlstrom aus vorgefertigten Statements und albernen PR-Bildern, der so entsteht und auch noch als politischer Diskurs verkauft wird, bewirkt eine unübersehbare Ermüdung der Menschen nicht nur an der Politik, sondern letztlich auch an den Medien selbst, die ihnen dieses Bild der Welt servieren. Der Overkill bestenfalls anpolitisierter News und Nichtigkeiten auf allen Kanälen führt offensichtlich nicht zu besser informierten Bürgern, sondern eher zu deren weiterem Rückzug aus den öffentlichen Belangen. Idole und Identifikationsfiguren werden binnen kurzer Zeit verschlissen, die Zeitkontingente der Menschen für Unwichtiges aufgebraucht, ihre Aufmerksamkeitskapazitäten systematisch überreizt.
Bleibt das Versagen der Politik, die in der Mediengesellschaft ihren eigenen Gestaltungsanspruch weitgehend aufgegeben hat und vorwiegend »medienoptimiert« agiert, also eher Handlungsfähigkeit vortäuscht, als wirklich zu handeln. Die merkwürdige Unfähigkeit der Medien zu einer angemessenen Darstellung der Welt korrespondiert mit der Unfähigkeit der Parteien, die wirklich wichtigen Fragen angemessen zu adressieren und dadurch Bindekraft in die Gesellschaft hinein zu entfalten. Auf die Erosion ihrer Gestaltungsmacht im nationalstaatlichen Rahmen hat die Politik bislang genauso wenig Antworten gefunden wie auf die nachlassende Attraktivität der Parteien. Statt sich auf die geänderten Verhältnisse einzustellen |212| und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, lässt die Politik sich wie die Gummiente in der Badewanne vom Plätschern der Wellen treiben. Für eine nach wie vor üppig alimentierte gesellschaftliche Elite, von der Führung und Vorbild erwartet werden, ist diese Haltung entschieden zu wenig.
Das Zusammenspiel von Bürgern, die der unerfüllte gesellschaftliche Regelungsbedarf nicht weiter stört, einer Politik, die sich in ihrer viel beklagten Handlungsunfähigkeit längst zufrieden eingerichtet hat, und einer medialen Repräsentation derselben, die gleichermaßen frei ist von Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen wie von einem tieferen Verständnis der Politik, führt zu einer Krise der politischen Öffentlichkeit, die nur demokratiebedrohend sein kann. Die tektonischen Verschiebungen der Kommunikationsverhältnisse und Aushandlungsprozesse in der Nahzone von Politik, Bürgern und Medien begannen zunächst unmerklich und gewinnen nun mehr und mehr an Tempo. Es muss verwundern, dass dies von allen Beteiligten einfach hingenommen wird. Denn nach wie vor gilt die seit der Aufklärung hochgehaltene Erkenntnis, dass eine funktionierende Öffentlichkeit der wichtigste Garant für den Bestand der Demokratie ist. Sie ist nicht nur der Ort, an dem ständig Transparenz über das Handeln der Mächtigen hergestellt wird, sondern bildet auch jene Arena, in der die Bürger untereinander aushandeln, welchem Kurs das Gemeinwesen folgt, welche politischen Projekte mit welcher Intention verfolgt werden und wer sich daran beteiligt. Dies setzt voraus, dass die Öffentlichkeit auch tatsächlich jene Themen bearbeitet, die gesellschaftlichen Regelungsbedarf entfalten, und sich nicht von Inszenierungen, Hypes und Werbeunterbrechungen ablenken lässt. Sonst ist Öffentlichkeit als zentrale Ressource für die handelnde Politik verloren. Diese hat dann kein Zentrum mehr, keine legitimierten Akteure und auch keine Adressaten. |213| »Ohne ein Mindestmaß an Symmetrie in den Kommunikationsbeziehungen zwischen den politischen Spitzen und der Gesellschaft, ohne ein ausreichendes Maß an informativer und argumentativer Öffentlichkeit und ohne einen Grundzug von Verständigungsbemühen in der öffentlichen Kommunikationsatmosphäre einer Gesellschaft kann es keine Demokratie geben, die ihren Namen verdient«, stellt Thomas Meyer fest. 186
Die Rolle des kritischen
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