Die erregte Republik
auch unbequeme Wahrheiten offen ausspricht. Diese allgemein verbreitete Wahrnehmung ist umso erstaunlicher, da kaum jemand wiedergeben kann, was Guttenberg eigentlich im Verlauf seiner politischen Laufbahn Substanzielles gesagt hat. Sein Satz, dass in Afghanistan Krieg herrsche, wenn auch nicht völkerrechtlich, so doch zumindest »umgangssprachlich«, wurde allgemein als Befreiung empfunden, als Aufbrechen eines deutschen Denktabus. Bei näherem Hinsehen entpuppte er sich als reine Worthülse. Patrick Bahners unterzog Guttenbergs Satz in der
F.A.Z.
einer näheren Analyse. Er wies darauf hin, dass das Völkerrecht den Begriff des Krieges seit Jahrzehnten nicht mehr kennt, aus seiner Verwendung also auch keine völkerrechtlichen Konsequenzen erwachsen können. Denn was in der Alltagssprache weiter Krieg heißt, ist in der Definition des Rechts der bewaffnete Konflikt. Bahners schrieb: »Mittlerweile ist in der Öffentlichkeit der Eindruck allgemein, die Rechtfertigung der deutschen Afghanistan-Mission sei durch und durch euphemistisch. Der gegenwärtigen Bundesregierung und insbesondere dem Verteidigungsminister ist das Kunststück gelungen, zu einem Zeitpunkt, da der strategische Sinn des Einsatzes zweifelhafter ist denn je, durch eine Verlautbarungsoffensive noch einmal Unterstützung an der Heimatfront zu mobilisieren: durch das Versprechen, endlich Klartext zu reden.« 179 Ein Klartext freilich, der völlig frei von Konsequenzen blieb. Nicht anders steht es um die Ereignisse jener Nacht im Kanzleramt im Mai 2009, als es um die Rettung von Opel durch Staatshilfen ging. Guttenberg |202| inszenierte sich in dieser Situation als Gralshüter ordnungspolitischer Grundsätze. Der damalige Wirtschaftsminister stand, so das öffentlich perpetuierte Bild, in der großen Koalition allein gegen alle, drohte angeblich mit Rücktritt, blieb dann aber doch im Amt. Nur was genau er zu seiner Dienstherrin Angela Merkel in der Opel-Frage gesagt hatte und welche Konsequenzen er daraus ziehen wollte, ist bis heute unbekannt. Letztlich ersetzte Guttenberg einen differenzierten Politikbegriff, wie ihn Politiker schon aus Präzisionsgründen unabdingbar brauchen, durch einen moralisch aufgeladen, unbestimmt bleibenden Habitus, den er selbst immer wieder als »Haltung« umschrieb. Mit diesem Begriff begründete der fränkische Freiherr seine Positionierung zur Frage der Opel-Rettung, und er nutzte ihn später exzessiv, als er in Bedrängnis geriet. In Talkshows sagte er dann regelmäßig Sätze wie: »Dem Sturm, der über mich hinüberfegt, halte ich stand« oder: »Man kneift nicht, man kneift generell nicht«. Doch so hoch Guttenberg dieses Prinzip in der Theorie hielt, so schlecht hielt er es in der Praxis durch. Im Sommer 2009 mitten im Wahlkampf legte sein Wirtschaftsministerium ein Papier mit ordnungspolitischen Grundsätzen der CDU/CSU vor, das mit der Ablehnung von Mindestlöhnen und der Forderung nach Steuersenkungen voll auf der programmatischen Linie der Union lag. Doch nach den ersten Protesten zog der Minister es eilig zurück, erklärte, dass dieses nicht hinreichend mit ihm abgesprochen sei, und versprach, persönlich ein neues Konzept zu erarbeiten. Danach hat man nie wieder von der Sache gehört.
Dann ereilte Guttenberg die Kundus-Affäre. Am 4. September 2009 hatte der deutsche Oberst Georg Klein im deutschen Feldlager Kundus die Bombardierung von zwei von den Taliban entführten Tanklastern angeordnet. Über 100 Menschen starben bei dem Luftangriff, darunter viele Zivilisten. Zum Zeitpunkt |203| des Angriffs war Guttenberg noch Wirtschaftsminister. Als er nach der Bundestagswahl das Verteidigungsministerium übernahm, sagte er, der Angriff sei »militärisch angemessen« gewesen. Kurz darauf revidierte er diese Aussage und begründete seinen Meinungswechsel damit, dass er von seinen Untergebenen nicht ausreichend über den Hergang des Angriffs informiert worden sei. Den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und seinen Staatssekretär Peter Wichert entließ er, weil diese ihm einen Feldjägerbericht mit zusätzlichen Informationen vorenthalten hätten. Seither gibt es zwischen den Beteiligten einen nicht auflösbaren Streit um den Ablauf der Sitzung, die zur Entlassung des Beamten und des Offiziers geführt hat. Die Aussagen von Guttenberg und Wichert widersprechen sich, man ist sich nicht einmal einig, wie viele Leute bei dem Gespräch im Raum waren. Guttenberg behauptet fünf, Wichert und
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