Die erregte Republik
Schneiderhan sagen, es seien vier gewesen.
Ähnlich erratisch war das Bild, das Guttenberg während des vermeintlichen Skandals um die Bedingungen der Offiziersausbildung auf dem Segelschulschiff Gorch Fock abgab. Auslöser war der tödliche Unfall der Offiziersanwärterin Sarah Seele im November 2010. Im Gefolge gab es Medienveröffentlichungen über die Zustände an Bord, vor allem
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skandalisierte, mehrere Zeitungen sprachen von einer »Meuterei auf der Gorch Fock«. Statt in Ruhe abzuwarten, was die Berichte der zuständigen Stellen ergaben, und das Ganze den militärischen Hierarchien zu überlassen, zog Guttenberg auch diese vermeintliche Affäre wieder direkt an sich, wie er stets alles zur Chefsache erklärt hatte, was breit in den Boulevardmedien auftauchte. Zunächst wollte er abwarten, was die Untersuchungen ergaben. In der dritten Januarwoche 2011 machte er dann eine spektakuläre Kehrtwendung und enthob den Kapitän der Gorch |204| Fock, Norbert Schatz, seines Kommandos. Unklar bleibt, was Guttenberg zu diesem Schritt trieb, obwohl er noch Stunden zuvor im Bundestag angekündigt hatte, mögliche personelle Konsequenzen nicht aufgrund von Spekulationen, sondern allein auf der Basis von Fakten treffen zu wollen. Das Einzige, was sich in den nächsten Stunden änderte, war die Ankündigung der
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-Zeitung, einen weiteren Bericht über Verfehlungen der Gorch-Fock-Offiziere zu veröffentlichen. Dessen Erscheinen überhaupt nur abzuwarten, schien Guttenberg nun nicht mehr opportun. Nach Darstellung der
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fiel die Entscheidung Guttenbergs zur Abberufung von Schatz während einer gemeinsamen Autofahrt des Ministers mit einem Reporter der Zeitung: »Der gepanzerte Audi A8 schießt mit knapp 200 Kilometern pro Stunde durch die Freitagnacht zwischen dem osthessischen Fulda und dem unterfränkischen Esselbach, als Karl-Theodor zu Guttenberg der Kragen platzt. ›Es reicht!‹« 180 Wegen immer neuer Berichte über seltsame Ekelrituale und Quälereien auf der Gorch Fock habe sich der Minister für die Dienstenthebung des Kapitäns und die Rückbeorderung des Schiffes nach Deutschland entschieden. Diese Berichte fanden sich freilich vor allem in der
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selbst. Dort wurde das Zitat einer anonym bleibenden »ehemaligen Kadettin« gedruckt, die behauptete, das Schiff sei »der größte schwimmende Puff Deutschlands«. Zudem wurden die unbelegten Gerüchte über sexuelle Übergriffe an Bord in einen möglichen Zusammenhang mit dem Tod der Kadettin Jenny B. gebracht, die im September 2008 unter nie ganz geklärten Umständen über Bord des Schulschiffs gestürzt war und später tot aufgefunden wurde. Mit der Amtsenthebung des Kapitäns hatte
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mal wieder gesiegt. Das Schlagzeilentrommelfeuer über die Zustände auf der Gorch Fock mündete in einen spektakulären Abgang.
Bild am Sonntag
feierte Guttenberg nach dem |205| Schatz-Rauswurf: »Das Einhorn gilt als das edelste aller Fabeltiere. Ihm werden seit Jahrhunderten Wunderkräfte zugeschrieben wie die Erweckung von Toten. So gesehen ist Karl-Theodor zu Guttenberg das Einhorn der deutschen Politik.« Die Begründung der Zeitung: »Für kurze Zeit stand in dieser Woche Guttenbergs Ruf als Aufklärer und Erneuerer auf dem Spiel, war doch der unschöne Eindruck entstanden, der Minister wisse nicht oder erfahre zu spät, was in seiner Truppe vor sich geht. Für einen Augenblick wirkte er wie ein Getriebener der schlechten Nachrichten. Doch dann berappelte sich Guttenberg. Mit der Abberufung des Kommandeurs der ›Gorch Fock‹ und noch mehr mit der zumindest vorübergehenden Stilllegung des traditionsreichen Seglers bewies der Baron, dass mit ihm in diesen Dingen nicht zu spaßen ist. Und mit dem Auftrag an den Generalinspekteur, einen umfassenden Report über schräge Rituale zu erstellen, nutzt der Minister die jüngsten Vorfälle, um den Umbau der Bundeswehr voranzutreiben.« 181
Spätestens mit Guttenbergs spontaner Entscheidung zur Kommandoenthebung von Schatz, der später durch Untersuchungsberichte rehabilitiert wurde, entstand unter den Politikerkollegen, aber auch in der seriösen Presse das Bild eines Ministers, der sich von
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treiben lässt. Unübersehbar war die Zeitung zum Sprachrohr des Freiherrn geworden und stellte ihn immer wieder ins Rampenlicht: Guttenberg auf dem Times Square, Guttenberg in Afghanistan, Guttenberg im Kanzleramt, Guttenberg in Bayreuth. So entstand eine politisch-mediale Verbindung, die zumindest zeitweise, so
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