Die erregte Republik
sie eine merkliche Zuspitzung erfahren. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit verschärft sich unter den Bedingungen der digitalen Revolution zusehends. Immer häufiger müssen die Medien ihre Zuschauer und Leser kurzfristig für sich gewinnen. Dafür brauchen sie täglich die spektakuläre Neuigkeit. Konsistenz wird so immer unwichtiger, der Skandal hingegen zur Erfolgsbedingung. Daraus ergeben sich gerade in der Berichterstattung über langfristige politische Reformen hochproblematische Muster: Erst werden einschneidende Veränderungen abstrakt gefordert, dann ihre konkreten Nebenwirkungen beklagt, im nächsten Schritt technische Umsetzungsmängel moniert und noch bevor Reformen überhaupt in Kraft treten, wird ihr Scheitern verkündet. Wenn die Entkoppelung von politischer Thematisierung und medialer Spiegelung zum Dauerzustand wird, können umfassendere Reformprozesse schon allein deswegen nicht gelingen, weil durch die Berichterstattung das in der Bevölkerung nötige Vertrauen in die Wirksamkeit der Reformen zerstört wird. Zudem stellt sich das Medienhandeln oft als nicht konsistent dar: Dieselben Blätter, die zum Beispiel während des Agenda-2010-Prozesses tiefgreifende Einschnitte und entschlossene Reformen im Sozialbereich forderten und vor »Reformen light« warnten, weinten große Krokodilstränen, als die ersten Arbeitslosengeld-II-Empfänger ihre Fragebögen zugestellt bekamen und bis ins letzte Detail über ihre Lebensverhältnisse Auskunft |58| geben mussten. Dass eine erhebliche Personengruppe durch Hartz IV besser und nicht schlechter gestellt wurde, übersahen sie genauso geflissentlich wie die Tatsache, dass viele bürokratische Verkomplizierungen und soziale Härten im Hartz-Regelwerk nicht von der SPD erfunden, sondern erst von der Union im Vermittlungsausschuss durchgesetzt worden waren.
Fatale Ménage à Trois
Stellt man sich politische Kommunikation, also das öffentliche Aushandeln von Belangen, die alle betreffen, als ein Dreiecksverhältnis von Politikern, Journalisten und Bürgern vor, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was die Veränderungen in der Nahzone von Politik und Medien für den Dritten im Bunde, die Bürger, bedeuten. Diese sind die eigentlichen Verlierer der zu beobachtenden Beschleunigungs- und Überdrehungsprozesse, denn sie haben sowohl an die Politik einen Transparenzwie an die Medien einen Informationsanspruch, die beide nicht hinreichend eingelöst werden: Die politisch-mediale Überhitzungsspirale droht diese Interessen regelmäßig durch schlichte Überforderung mit Nicht-Relevantem zu überrollen. Denn das Tempo der im politisch-medialen Komplex geforderten und eingeleiteten Reform- und Modernisierungsschritte droht die Menschen, die mit anderen Zeitbezügen und anderen lebensweltlichen Verankerungen leben als die professionellen Politikproduzenten und -analysten, mehr und mehr abzuhängen. In dem Maße, in dem der politisch-mediale Komplex sich schließt, wird die dritte Anspruchspartei ausgeschlossen. Die Bürger reagieren darauf mit Abwendung, zum Teil auch mit Verachtung. Oder eben mit Wutbürgertum. Dass unter diesen Bedingungen |59| eine Krise der repräsentativen Demokratie heraufzieht, muss einen nicht verwundern.
So stellt sich grob gesprochen die Situation dar, wenn wir auf die heutige Öffentlichkeit und die dort zu bewältigenden Probleme blicken: Die einen können nicht mehr thematisieren, was wirklich wichtig ist (die Politik), die anderen wollen dies nicht (die Medien) und die dritten (die Bürger) erkennen gar nicht den Zusammenhang zwischen demokratischer Diskursqualität und der Ausgestaltung des Gemeinwesens. Dabei erstaunt vor allem der massive Einfluss der Medien, denn für diese ist – anders als für die Bürger sowie ihre gewählten Repräsentanten – in den klassischen Konzepten der Demokratie gar kein Platz vorgesehen. Politische Theorien demokratischer Öffentlichkeit gründen sich zum einem auf ein Bild von informierten und interessierten Bürgern, die einen rationalen Diskurs über die Themen von öffentlichem Interesse in Gang setzen und sich dann weitgehend unabhängig ihre Meinung bilden. Auf der anderen Seite vertrauen diese Theorien auf einen ebenso rationalen Prozess der Willensbildung in den politischen Institutionen, der zwar von verschiedenen Interessenstandpunkten geprägt ist, aber letztlich die faire Auseinandersetzung über die Sache und den pluralistischen Interessenausgleich in den Mittelpunkt stellt. In solchen
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