Die erregte Republik
Vorstellungen kommen die Medien nur am Rande vor. Ihre neutrale Funktion als Informationsvermittler zwischen Regierenden und Regierten wird ebenso vorausgesetzt wie ein Handeln der politischen Akteure, das unbeeinflusst von den Kriterien der Nachrichtenauswahl und den aufseiten der Handelnden erwarteten Wirkungen der Medien ist. Medien erscheinen in den klassischen Demokratietheorien, so die Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach und Olaf Jandura, »als eine gesellschaftliche Institution mit zwar für das Funktionieren des Systems konstituierender |60| Bedeutung, aber still vorausgesetzter, quasi automatisierter Leistungserfüllung, die daher nicht weiter interessieren muss«. 34
Erlöschen der Öffentlichkeit?
Dieses Bild war freilich noch nie ganz zutreffend. Bereits 1922 führte der amerikanische Publizist Walter Lippmann in seinem Buch
Public Opinion
die Macht der öffentlichen Meinung in die politische Theorie ein. Er stellte fest, dass die politische Willensbildung bei Wählern eben nicht nur rational ablaufe, sondern massiv von Stimmungen und Stereotypen geprägt sei. Das Problem bestehe darin, dass die Menschen die Welt nur verzerrt erfassen könnten, da sie ihr nicht direkt gegenüber träten, sondern sie vermittelt durch die Pseudo-Umwelt der Massenmedien wahrnähmen. Weil die wahre Welt zu komplex sei, um sie wirklich zu begreifen, würden die Menschen die ihnen begegnenden Außenreize mit Hilfe eines kognitiven Instrumentariums bewältigen, dass die Aufnahme und Verarbeitung der Reize nach festgefügten Regeln steuere. Dies reduziere die Umweltkomplexität, habe aber automatisch Vereinfachungen und Verzerrungen zur Folge. 35 Zudem sei es möglich, dass die die Wahrnehmung leitende Pseudo-Umwelt der Menschen durch Propaganda manipuliert werde, etwa dadurch, dass das Image von bestimmten Personen oder politischen Bewegungen entgegen der Wirklichkeit inszeniert würde oder durch die Beeinflussung der Regeln, nach denen das
pseudo-environment
arbeitet. Das aufklärerische Ideal einer Gesellschaft, in der jeder Mensch konkrete Erfahrungen mit der ihn umgebenden Welt hat, entpuppte sich Lippmann zufolge unter diesen Bedingungen als pure Schimäre. Selbst wenn die Masse der Menschen |61| Zugang zu allen Informationen hätte, könnte sie keine durchdachten Meinungen entwickeln, da ihre Sicht der Welt nicht auf Fakten, sondern auf Bildern in ihren Köpfen beruhe. Und diese würden eben maßgeblich durch die Medien geprägt. Letztlich führe die Herrschaft der Medien über die zirkulierenden Bilder von Politik zum Erlöschen der Öffentlichkeit, zur »eclipse of the public«.
Die Präsenz der Medien und ihre Macht über unsere Köpfe hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts stetig vergrößert. Das liegt vor allem daran, dass die Medien einen immer größeren Anteil zu unserem persönlichen Erleben beisteuern. Mehr und mehr ersetzt Medienvermittlung unmittelbare eigene Anschauung. Allein der Fernsehkonsum der Deutschen beträgt heute im Schnitt 220 Minuten täglich – Zeit, die den Menschen zu Gesprächen mit anderen oder zum eigenen Erleben der Welt fehlt. In den vergangenen Jahrzehnten ist den Medien durch ihre Präsenz und die Intensität, mit der sie alle Bereiche – Politik, Sport, Kultur und Wirtschaft, um nur die wichtigsten zu nennen – durchdringen, eine Rolle zugewachsen, in der sie gesellschaftliche Prozesse so stark beeinflussen, dass man von einer echten Systemveränderung sprechen kann. Medien sind in unserer heutigen Gesellschaft nicht nur omnipräsent, sie eignen sich auch immer mehr Segmente des öffentlichen Lebens an. Nicht umsonst haben in den vergangenen Jahren Begriffe wie »Mediendemokratie«, »Mediokratie« oder »Telepolitik« große Prominenz gewonnen: Sie bezeichnen die Verfasstheit eines politischen Systems, dessen gesamte kommunikative Aktivitäten durch die Medien organisiert werden und dessen Handlungsrepertoire vollständig am Medieneinfluss orientiert ist. Die Medien und die ihnen eigenen Aufmerksamkeits- und Problembearbeitungsregeln werden mehr und mehr zum dominanten Code des politischen |62| Diskurses. Dies hat zur Folge, dass die Darstellung von Politik nicht mehr entlang der komplizierten Sachabwägungen und Aushandlungsprozesse des politischen Systems verhandelt wird, sondern sich an den Bedürfnissen der Medien nach Eindeutigkeit, Prägnanz der Position, Skandalisierbarkeit und konfliktueller Zuspitzung orientiert. Die Themensetzungsmacht der Medien wird so
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