Die Erscheinung
Würde sie merken, dass er sie belog? »Nein …« Wenn er verriet, was er erblickt hatte, würde sie ihn womöglich für verrückt halten. »Ein paarmal hörte ich - sonderbare Geräusche. Aber da steckt sicher nichts dahinter. Diese Legenden sollte man nicht so ernst nehmen.«
Ihr sanftes Lächeln weckte den Wunsch, sie zu küssen. Doch das konnte er natürlich nicht riskieren.
»Keine Ahnung, ob ich Ihnen glauben soll, Charlie … Sie sind erstaunlich gut über Sarah Ferguson informiert. Habe ich deshalb das Gefühl, Sie würden mir irgendwas verschweigen?«
Verblüfft registrierte er den verführerischen Unterton, der unvermittelt in ihrer Stimme mitschwang. »Was immer ich Ihnen verheimliche, hat nichts mit Sarah zu tun«, konterte er, und sie mussten beide lachen.
Er versicherte erneut, er habe den Geist der Countess nicht gesehen. »Sollte er mir begegnen, werde ich's Ihnen sofort erzählen, Francesca.«
Wie schön und reizvoll sie aussah, wenn sie sich amüsierte … Bedauerlicherweise wurde die Tür zu ihrem Herzen stets wieder zugeschlagen, ehe er sie ein bisschen weiter öffnen konnte.
Nun erlosch ihr Lächeln. »Das meine ich ernst, Charlie. Ich glaube, wir werden von Geistern umringt, die wir nicht wahrnehmen. Und wenn wir darauf achten würden, könnten wir sie sehen.«
»Also muss ich mich im Château etwas intensiver auf Sarah konzentrieren«, scherzte er. »Und wie soll ich's anfangen? Vielleicht mit einem Ouija-Brett? Oder einfach nur mit Meditation?«
»Oh, Sie sind unmöglich! Hoffentlich weckt Sarah Sie eines Nachts und erschreckt Sie zu Tode!«
»Welch ein aufregender Gedanke … Wenn Sie mich so nervös machen, muss ich heute Nacht in Ihrem Wohnzimmer schlafen, Francesca.«
Zu seinem Leidwesen zweifelte sie an seiner Angst vor Gespenstern und weigerte sich, ihn einzuladen. Beim Abschied wagte er einen zweiten Vorstoß und fragte, ob sie ihn am nächsten Tag mit Monique besuchen würde. Das lehnte sie prompt ab. Für ihren Geschmack entwickelte sich die Freundschaft viel zu schnell. »Dafür habe ich keine Zeit«, erklärte sie und wich seinem Blick aus. »Ich muss endlich wieder an meiner Dissertation arbeiten.«
»Klingt nicht besonders lustig«, meinte er enttäuscht.
»Ist es auch nicht.« Sie hätte ihre Studien verschieben können. Doch das wollte sie nicht. »Leider muss ich mich trotzdem damit befassen.«
»Möchten Sie nicht lieber mit mir im Château auf Geisterjagd gehen?«
Erheitert schüttelte sie den Kopf. »Diesem Vorschlag kann ich kaum widerstehen. Aber ich vertiefe mich besser in meine Bücher. In letzter Zeit habe ich nicht viel zu Stande gebracht. So gern ich das Château sehen würde - im Augenblick kann ich Ihre freundliche Einladung nicht annehmen. Vielleicht ein andermal.«
Ein paar Minuten später stand sie in der Haustür und schaute seinem Wagen nach. Während er nach Hause fuhr, bereute er, dass er sie nicht einfach umarmt und geküsst hatte. Andererseits wäre es vermutlich das Ende der Freundschaft gewesen.
Im Château angekommen, dachte er, wie wundervoll es wäre, wenn sie ihn am nächsten Tag mit Monique besuchen würde. Die gemeinsamen Stunden waren so schön gewesen, und sie hatte einfach nicht mehr das Recht, ihn aus ihrem Leben auszuschließen. Außerdem mochte er ihre Tochter, die seine Gefühle zweifellos erwiderte. Eine Zeit lang saß er unschlüssig im Salon, bis er es nicht länger ertrug und zum Telefon griff. Es war schon Mitternacht, aber da er sie eben erst verlassen hatte, würde sie sicher noch nicht schlafen.
»Hallo?«, meldete sie sich besorgt. Um diese Zeit wurde sie normalerweise nicht angerufen. Ihr Telefon läutete überhaupt nur sehr selten.
»Gerade habe ich einen Geist gesehen, und ich fürchte mich ganz schrecklich. Er war riesengroß und hatte Hörner und rote Augen. Und ich glaube, er war in mein Laken gehüllt. Wollen Sie herkommen und ihn sehen?«
»Um Himmels willen, Charlie!«, entgegnete sie glucksend. »Mit so was macht man keine Witze. Was ich vorhin sagte, war ernst gemeint. Manche Menschen sehen tatsächlich Geister. Im Historischen Verein höre ich ständig solche Geschichten. Einige Geister lassen sich sogar identifizieren. Auf diesem Gebiet habe ich selber einige Nachforschungen angestellt.«
»Sehr gut. Dann kommen Sie her und identifizieren Sie meinen Geist. Ich habe mich im Badezimmer eingesperrt.«
»Offenbar sind Sie ein hoffnungsloser Fall.«
»Stimmt. Darin liegt das Problem. Möchten Sie nicht
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