Die Erscheinung
bekommen, fessle ich dich in den letzten Wochen ans Bett. Nie wieder werde ich am Straßenrand den Geburtshelfer spielen.« Obwohl er mit ihr schimpfte, küsste er sie liebevoll und ließ ihr Zeit, sich auszuruhen. Doch unter dem Sternenhimmel erkaltete die Luft. »Darf ich Sie jetzt nach Hause tragen, Madame la Comtesse? Oder möchten Sie hier im Gras schlafen?« Glücklicherweise war sie vernünftig genug, um eine Erkältung zu vermeiden, die dem Baby und ihr selbst empfindlich schaden könnte.
»Monsieur le Comte, ich gestatte Ihnen, mich heimzutragen«, erwiderte sie in gespielt arrogantem Ton. Vorsichtig hob er sie mitsamt dem Baby hoch, und fünf Minuten später erreichte er das Haus. Die beiden Jungen eilten ihnen entgegen und glaubten, Sarah wäre gestürzt. Dann merkten sie, dass sie ein schlafendes Baby im Arm hielt.
»Das haben wir auf der Wiese gefunden«, behauptete François belustigt. »Erstaunlicherweise sieht die Kleine wie die Comtesse aus.«
Verblüfft starrten die Jungen ihn an. »Hat sie's auf dem Weg zum Wasserfall gekriegt?«, fragte Patrick ungläubig. »Einfach so?«
»Einfach so«, bestätigte er. »Von solchen kleinen Schwierigkeiten lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen.« Grinsend zwinkerte er seiner Frau zu, während die Jungen den Säugling bewunderten.
»Das muss ich meiner Mutter erzählen«, beschloss John begeistert. »Die braucht immer eine Ewigkeit. Und wenn das Baby kommt, ist mein Dad so betrunken, dass er einschläft. Dann ärgert sie sich, weil er's nicht anschaut.«
»Was für ein Glückspilz«, meinte François und trug seine Frau mit dem Baby ins Haus. Patrick hatte auf Alexandre aufgepasst. Doch der war ungerührt eingeschlafen, bevor er seine Schwester kennen lernen konnte.
»Wie sollen wir unsere Tochter nennen?«, fragte Sarah, als François sich neben ihr auf dem Bett ausstreckte. Jetzt sah sie sehr müde aus, was sie allerdings nicht zugab.
»Ich habe mir immer eine Tochter namens Eugenie gewünscht. Aber auf Englisch klingt das nicht so nett.«
»Wie wär's mit Françoise?« Nun fühlte sie sich etwas schwindlig. Bei der atemberaubend schnellen Niederkunft hatte sie viel Blut verloren.
»Nicht besonders originell«, meinte er, war trotzdem gerührt, und schließlich einigten sie sich auf Françoise Eugenie Sarah de Pellerin. Im August wurde die Kleine zusammen mit ihrem Bruder in der Holzkirche von Shelburne getauft.
Inzwischen war das Château fast fertig. Sarah hatte mit den Kindern alle Hände voll zu tun, ritt aber so oft wie möglich zu ihrem neuen Domizil. Und im Oktober hielten sie Einzug.
An diesem besonderen Tag hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut, wie überglücklich sie gewesen war. Aus jeder Zeile sprach ihr Jubel, und Charlie lächelte gerührt, als er ihren Bericht las. Wie er den Aufzeichnungen entnahm, hatte sich das Château seither kaum verändert.
Schließlich legte er das Tagebuch voller Wehmut beiseite und dachte an Sarahs und François' Kinder. Welch ein erfülltes Leben hatten sie geführt. Nun bereute er, dass er niemals Vater geworden war.
In Selbstmitleid versunken, hätte er sich beinahe nicht gemeldet, als das Telefon läutete. Aber vielleicht war Francesca am Apparat, die von der Lektüre des ersten Tagebuchs berichten wollte. Deshalb nahm er den Hörer ab. »Okay, Francesca, wie gefällt's Ihnen?« Doch dann erkannte er in seiner Verwirrung Caroles Stimme.
»Wer ist Francesca?«, wollte sie wissen.
»Eine Freundin. Warum rufst du an?« Was konnte sie jetzt noch von ihm wollen? Die Scheidung sollte erst Ende Mai ausgesprochen werden. Nun war er ein bisschen verlegen, weil er sie mit Francesca angesprochen hatte. War sie eifersüchtig? Wohl kaum. Was für ein alberner Gedanke …
»Ich muss dir was sagen«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang etwas unbehaglich.
»Haben wir nicht schon alles besprochen?« Wie sie dem Klang seiner Stimme anmerkte, freute er sich nicht besonders über den Anruf. Aber sie verspürte wie üblich das fast zwanghafte Bedürfnis, ihn fair zu behandeln, obwohl Simon das verrückt fand. Unablässig betonte er, sie sei Charlie nichts schuldig. Doch sie wusste es besser. »Über deine baldige Hochzeit hast du mich bereits informiert, Carole. Erinnerst du dich?«
»Natürlich. Eh - da gibt's was anderes, und ich finde, du solltest es erfahren.«
Was mochte das sein? Wollte er's überhaupt wissen? Intime Einzelheiten über ihr Leben mit Simon würden ihn nur bedrücken. »Bist du
Weitere Kostenlose Bücher