Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
ob ihr Fell explodieren würde. Puff. Mein Gewissen regt sich. Dabei sind es doch bloß zehn Minuten. Kopf hoch, Jungs. Und sie halten den Kopf hoch. Ich habe noch nie einen Kopf untertauchen sehen. Bis heute.
Dad.
Was ist.
Ich zeige auf den dritten Pool.
Das ist aber komisch, sagt er.
Überhaupt nicht. Sie ertrinkt!
Noch ein Sekündchen.
Eins, zwei, drei vier, fünf Sekunden. Sie landet auf dem Grund des Pools. Und rührt sich nicht. Zu einer Schwimmweste würde ich nicht Nein sagen. Luftblasen steigen auf.
Sie kann nicht schwimmen.
Alle Mäuse können schwimmen.
Ich tauche meinen Arm ins Wasser, bin aber noch nicht groß genug. Dad!
Na schön. Er steckt seinen Arm ins Wasser.
Ich drehe mich weg. Ist sie noch am Leben. Am besten gar nicht hinsehen.
Alles bestens, Audrey. Ihr geht’s prima. Schau doch.
Ich schaue. Und sehe eine hechelnde Maus. Mit weit aufgerissenen Mäuseaugen.
Kleiner Scheißer, sagt mein Dad. Sein Ärmel ist bis zur Schulter nass.
Und so wird Nummer 18 abgetrocknet, wenn auch nicht ganz so behutsam wie die anderen, und nicht ganz so lange.
Ich glaube, sie mag keinen Freischwimmer machen, sage ich und trage sie zu ihrem Zimmer.
Nein. Jedenfalls nicht freiwillig.
Das Labor von meinem Dad ist in Gebäude OB-8, das ich nur das Obacht-Gebäude nenne. Die Tierpflegestation liegt im Keller des Obacht-Gebäudes. Wir gehen auf dem Heimweg dort vorbei. Verlaine hat die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Sie ist die Tierpflegerin. Sie kommt aus der Schweiz und trägt immer kurze Ärmel, egal wie kalt es im Keller ist.
Mein Dad klopft auf ihren Schreibtisch.
Ihre dicken Arme sind am Ellenbogen geknickt, als ob sie Zügel in der Hand halten würde, dabei hält sie in Wahrheit eine Zeitschrift in der Hand, mit einem Pferd und einem Reiter mit Zylinder vorne drauf.
Bonsoir , sagt sie und lüftet einen imaginären Zylinder.
Haben wir denn schon soir , sagt mein Dad und sieht auf seine Stoppuhr.
Im Bauch der Erde ist immer soir , sagt sie.
Verlaine versorgt die Mäuse von meinem Dad, Dr. O’Leerys Katzen und etliche Tauben, Hühner und Ratten. Sie sagt, die Tauben trifft es am härtesten, weil sie tatenlos zusehen müssen, wie ihre in Freiheit lebenden confrères auf den Fensterbänken im zweiten Stock auf und ab stolzieren.
An allen vier Wänden der Tierpflegestation hängen Bilder von Pferden. Aber keine Bilder von Mäusen, Katzen, Tauben, Hühnern oder Ratten.
Nummer 18 macht Schwierigkeiten, sagt mein Dad. Sie will partout nicht schwimmen.
Aber natürlich schwimmt sie.
Mein Dad zeigt ihr seinen nassen Ärmel.
Sie schüttelt den Kopf. Frechdachse, diese souris . Sie nimmt die Füße vom Tisch und rollt mit ihrem Stuhl quer durch den Raum. Notiert sich etwas. TantaMouse, sagt sie. Bei denen bestelle ich nicht noch mal.
Beim Schreiben zuckt ein Muskel an ihrem Oberarm.
Was wird denn jetzt aus Nummer 18, frage ich.
Mir ist nach einem leckeren Mäusesandwich, sagt sie und schreibt weiter. Das wird aus Nummer 18.
Ich lache. Menschen essen doch keine Mäuse. Dann höre ich auf zu lachen. Was essen eigentlich so dicke Menschen aus der Schweiz. Verlaine tätschelt sich den Bauch. Kein Lächeln weit und breit.
Sie will dich doch nur ärgern, sagt mein Dad. Nummer 18 wird eingeschläfert.
Ich nicke. Dachte ich’s mir doch.
Verlaine macht ein verdutztes Gesicht. Sie neigt den Kopf in meine Richtung und sagt: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, non .
Draußen bläst der Wind mich fast davon. Das ist beileibe nicht das erste Mal, dass ich auf dem Campus umgepustet werde. Aber das ist kein Wunder, denn die Universität wurde in Windeseile aus dem Boden gestampft.
Hoppla, sagt mein Dad und hilft mir wieder auf die Beine. Wo ist denn dein Stein.
Ich soll immer einen Stein in der Tasche haben, wenn es windig ist. Hab ich vergessen, sage ich und zurre meinen Pferdeschwanz ein wenig fester. Dad.
Er hüpft die Treppe hinunter. Ich halte mich an der Tür des Obacht-Gebäudes fest.
Dad!
Er dreht sich um. Der Wind ist laut.
Ich traue Verlaine nicht weiter, als ich spucken kann, brülle ich.
Was, brüllt er zurück.
Seine Haare wehen im Wind. Sein Ärmel ist sofort trocken. Er hält ihn hoch, guck mal, trocken, irre, was. Dann, da ich mich nicht von der Stelle rühre, kommt er die Treppe wieder hoch.
Was.
Ich traue Verlaine nicht weiter, als ich spucken kann.
Er lächelt. Das ist aber nicht sehr weit.
Ich möchte ein Experiment mit Nummer 18 machen. Mein eigenes
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