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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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dass ich mich auf ein längeres Gastspiel in der Taft Street einstellen muss, nicht wahr.
    Feuer ist jedenfalls meine geringere Sorge.
    Mir scheint, Chuck möchte mich auf seine ungalante Art auf einen Sturz aus großer Höhe vorbereiten. Sieht der Willamette nicht einladend aus. Wie lange es wohl dauert, bis er zu dem Schluss kommt, dass eine Schildkröte in ihrem natürlichen »Habitat« doch besser aufgehoben sei.
    Noch mehr Angst als die Haie macht mir die Vorstellung, von einer hohen Brücke geworfen zu werden. Ich meine, ich plansche ebenso gern im kühlen Nass wie jede andere Schildkröte auch, aber wenn man mit voller Wucht aufs Wasser prallt, ist der sprichwörtliche Ofen aus. Zumal ich einen extrem flachen Brustpanzer mein Eigen nenne. Mein Brustpanzer ist so flach, dass man mich übers Wasser hüpfen lassen kann wie einen Stein.
    Ich bin schon einmal aus großer Höhe geworfen worden, wenn auch nicht von einer Brücke. Ein früherer Mieter (ein sehr viel früherer Mieter, dreißig Jahre, wenn nicht mehr) warf mich in den Müll, weil er mich irrtümlich für einen Türstopper hielt, den sein Vormieter zurückgelassen hatte. Letzterer war überstürzt geflohen (»Kredit«-Probleme), ohne seinen Nachfolger vom bestehenden Mietverhältnis mit einer Schildkröte zu unterrichten. Und so blickte ich denn finsteren Zeiten entgegen und fand mich unversehens in einer Papiertüte wieder, in Gesellschaft diverser anderer Abfälle, die der Mietschuldner hinterlassen hatte (Rasierpinsel, Haarfärbemittel). Ich lag noch keine Stunde in der Mülltonne, als die Papiertüte plötzlich aufgerissen wurde – leider nicht von Menschenhänden, sondern von Möwenkrallen, die ob ihrer Gewandtheit jedoch ohne Weiteres als Hände durchgehen könnten – und der Vogel sich mit mir in schwindelnde Höhen emporschwang, zu welchem Zweck, können Sie sich sicher denken. Um mich fallen zu lassen. Und wäre das Kinderplanschbecken nicht gewesen, das die kleine Tochter des neuen Mieters just an diesem Vormittag aufgeblasen hatte, wäre ich als Vogelfutter geendet, mit zerschelltem Panzer. Aber das Schicksal meinte es gut mit mir. Denn platsch, fiel ich ins Becken oder, genauer, dem Kinde in den Schoß, den wohlgepolsterten. Zunächst schrie die Kleine wie am Spieß, doch dann – beruhige dich, beruhige dich – rief sie ihrem Vater, der den Kopf aus dem Fenster streckte, zu: Mir ist eine Schilfkröte in den Schoß gefallen.
    Sehe ich vielleicht aus wie ein Frosch.
    Eine Schilfkröte, eine Schilfkröte. Können wir sie behalten.
    Schildkröte, wenn ich bitten darf.
    Und der Rest ist Geschichte, wie man so sagt.
    Aber dieser Sturz. Nie werde ich das Gefühl vergessen, wie ich bleischwer in die Tiefe stürzte. Wie der Tod in Form der Erde in Windeseile näher rückte. Es war, als ob der Pfad, den ich die EBBE nenne, plötzlich senkrecht auf mein ENDE zusteuerte. Mir stockte das Herz. Der Körper weiß , dass er fällt. Und ist sich lange vor dem Gehirn über den Ausgang im Klaren.
    Weshalb, wie Audrey einmal scharfsinnig bemerkte, die Menschen auf der Achterbahn kreischen und schreien. Ihr Körper glaubt, dass er gleich sterben muss.
    Wir fuhren durch die Mojave-Wüste und hörten die Schreie, bevor die Achterbahn in Sicht kam. Meilenweit und -breit war nichts zu sehen. Nichts, nichts, nichts. Dann plötzlich sagte Audrey: Ich glaube, ich höre einen Vergnügungspark. Ich dachte, sie hat Halluzinationen. Vor Kurzem noch hatten wir Cliff herbeihalluziniert. Aber nein, jetzt konnte auch ich die Schreie hören. Und dann sah ich sie: eine riesige Achterbahn, die das Wort hoelle in den Himmel schrieb.

     
    Es wehte ein trockener Wind. Sie fuhr rechts ran. Andächtig sahen wir zu, wie der kleine Wagen sich das h hinaufschleppte, bevor er jäh in die Tiefe stürzte und den Schriftzug in rasender Geschwindigkeit nachzeichnete. Wer möchte schon so tief fallen, sagte sie. Noch dazu aus freien Stücken.
    Gute Frage.
    Bald begriff ich, dass von Cliff dem Unaussprechlichen die Rede war, der als Amateur-Stuntman nichts anderes im Sinn hatte als den freien Fall, aus freien Stücken. Und war sie ihm im Jalpen-Land nicht ganz und gar, mit Haut und Haar verfallen, wie man so sagt. Waren sie nicht zusammen Ski gelaufen, und war sie nicht den Berg hinabgewedelt, vermutlich sogar aus freien Stücken. Aber freilich. Und damit war sie besiegelt. Die wahre Liebe. Coup de foudre , wie sie zu sagen pflegte. Aber was weiß ich schon.
    Schreie im Wüstenwind. Ein

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