Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Komisch, aber er rostet ja gar nicht.
Lassen Sie mich mal probieren.
Verlaine steigt aus. Jim steigt ein. Der Anlasser dreht, aber der Motor zündet nicht. Und wie es sich anhört, wird er das in naher Zukunft auch nicht tun.
Ich halte mir die Ohren zu.
Als Kind fing ich bei diesem Geräusch – dem Geräusch eines Autos, das nicht anspringen will – auf der Stelle an zu weinen. Es klang nach Schmerzen, nach Fieber, nach dem Gefühl, sich übergeben zu müssen und es nicht zu können.
Clint geht an mir vorbei die Treppe hinunter. Er sieht meine Lichterkettenschachtel und sagt: He, Christmas Boy war hier.
Ich nehme die Hände von den Ohren. Was.
Christmas Boy.
Du meinst Judd ohne Dsch. Julian-Brown mit Bindestrich.
Hast du in letzter Zeit mal meine Taxizentrale gesehen.
Heiliger. Das war er.
Ja, Gott vergelt’s ihm.
Rings um den Lada hat sich eine Menschentraube gebildet. Der Mond steht hoch und hell. Sie sehen aus, als ob sie ein Theaterstück aufführen würden. Jim Ryan kann es nicht lassen und dreht ein weiteres Mal den Zündschlüssel herum.
Schließlich kommt Mrs. Ryan aus dem Haus und kreischt: Verflixt noch mal, Jim Ryan, hör endlich auf, die Kiste zu malträtieren.
Hört hört.
Jim steigt aus. Knallt die Tür zu. Nur dass sie nicht knallt. Sondern nur ein dumpfes Ploppen von sich gibt. Er klopft dagegen. Das Ding ist ja aus Pappe, sagt er angewidert.
Clint und Onkel Thoby werfen einen fachmännischen Blick unter die Motorhaube. Clint zeigt mit dem Finger. Was haben sich die Russen dabei bloß gedacht.
Verlaine beißt sich einen Fingernagel ab und spuckt ihn in den Schnee.
Oddly, gehst du mal das Isolierband holen.
Ich lasse die Schultern hängen. Einerseits würde ich gern hingehen und den Lada trösten. Schließlich ist er ein alter Freund. Andererseits möchte ich am liebsten hier auf der Treppe sitzen bleiben. Für immer. Jedenfalls habe ich nicht die geringste Lust, das Isolierband holen zu gehen.
Ich habe keine Stiefel an, rufe ich zurück.
Onkel Thoby wendet den Kopf und wirft mir einen bösen Blick zu. Das lässt sich ändern, oder.
Wenn’s unbedingt sein muss. Mir geht’s beschissen. Ich brauche dringend einen Kaffee.
Onkel Thoby rollt gleich meterweise Isolierband ab, und ich stehe mit der Schere bei Fuß. Ich bin das Scherenmädchen.
Byrne Doyle und Clint plaudern miteinander. Haben sie also doch noch zueinandergefunden. Clint trägt eine kurze Lederjacke mit dem Schriftzug MIT PFEFFERMINZ IST CLINT’S DEIN PRINZ auf dem Rücken. Byrne Doyle trägt seine Wollzwangsjacke. Sie stehen Schulter an Schulter, so ähnlich wie ihre Plakate hinter ihnen.
Unerhört, dass sie dem armen Noel Horne ein Paar Hörner verpasst haben, was.
Auf einem Plakat in der Empire Street steht doch tatsächlich JOYEUX NOEL HORNE.
Sie kichern. Und kichern. O Gott. Byrne Doyle wischt sich eine Träne aus dem Auge.
Er kann sich wahrhaftig nicht beschweren. Wenn überhaupt, bringt ihm das ein paar Sympathiepunkte extra.
In den Umfragen liegt er jedenfalls vorn.
Horne liegt vorn.
Wieder lachen sie.
Hinter den Kulissen sagt Jim Ryan: Dieses Auto macht eine politische Aussage, die mir nicht behagt.
Verlaine sagt: Va t’en .
Pardonnez moy.
Ich spähe ins Wageninnere. Hallo, alter Freund. Welche politische Aussage machst du denn, mit dem Loch im Boden, den beiden Piety-Pie-Kartons (einer davon zur Hälfte leergefuttert) und dem Hufkratzer auf dem Rücksitz.
Das Loch wird ja immer größer, sage ich zu Verlaine.
Sie liegt in einer Schneewehe ausgestreckt. Entweder macht sie einen Schneeengel oder eine politische Aussage.
Früher dachte ich, das Loch sei Absicht. Diese tollkühnen Russen.
Während der Fahrt bitte weder Hände noch Füße durch das Loch stecken, ermahnte mich Verlaine.
Hältst du mich für bescheuert.
Ich öffne die Tür. Schnappe mir den Hufkratzer vom Rücksitz. Ich halte ihn hoch, damit ihn jeder sehen kann. Wer weiß, was das ist.
Byrne Doyle und Clint verstummen kurz und unterhalten sich dann weiter. Komisch, dass die Leute etwas, das sie nicht kennen, auch nicht sehen. Ich wette meinen letzten Dollar, dass Clint und Byrne Doyle ihr Lebtag noch keinen Hufkratzer gesehen haben. Aber sagen sie vielleicht: Welch überaus interessantes Utensil, liebe Audrey. Was ist denn das. Nein.
Aus dem Füllhorn der Weisheit hat der gute Noel jedenfalls nicht getrunken, sagt Clint.
Onkel Thoby steckt immer noch unter der Motorhaube.
Jim Ryan sagt: Ein silbernes
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