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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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Kugel.
    Müde, fragte mein Dad hoffnungsvoll.
     
    Eigentlich nicht. Trotzdem musste ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, tat mir der Rücken weh, und mein rechter Arm hatte sich mit dem linken Arm von meinem Dad verheddert. Wir begannen mit dem Landeanflug. Der Pilot klang frisch und munter. Das Wetter in St. John’s ist der Jahreszeit entsprechend, sagte er über die Sprechanlage.
    Die Triebwerke wechselten die Tonart. Ich gähnte. Wieder wechselte die Tonart. Ich summte mit. Ich sah aus dem Fenster. Wir schritten eine breite, unsichtbare Treppe hinab. Als wir durch die Wolken brachen, sah ich den Signal Hill mit dem Parkplatz obendrauf. Und den Hafen. Ich sah den Veni-Vidi Lake. Und dann sah ich das Meer.
    Dann sah ich all das noch einmal. Und noch einmal. Dann sah ich den Wednesday Pond.
    Guck mal, Dad!
    Ich konnte sogar die beiden Schwäne erkennen, die ihre Hinterteile in die Luft streckten. Kannst du bis auf den Grund sehen. Nein. Du. Nein.
    Das Flugzeug kippte so weit nach links, dass mein Fenster zum Fußboden wurde. Dann kippte es in die andere Richtung und wurde zum Oberlicht. Das war lustig. Anfangs jedenfalls.
    Wir fliegen im Kreis, sagte ich.
    Schleifen, um genau zu sein, sagte mein Dad und spähte über mich hinweg aus dem Fenster.
    Warum.
    Weiß nicht.
    Da sagte jemand hinter mir: Probleme mit dem Fahrwerk.
    Was ist ein Fahrwerk!, schrie ich.
    Psst, Audrey. Setz dich wieder hin.
    Was ist ein Fahrwerk, flüsterte ich.
    Mein Dad schnallte mich an. Er riss die erste Seite seines Artikels ab und sagte: Warum malst du nicht ein Bild vom Wednesday Pond aus der Luft.
    Dazu brauche ich aber meinen Tisch, sagte ich.
    Eigentlich hatten wir die Tische einklappen sollen, aber mein Dad zog meinen aus der Lehne. Wir stürzen ab, sagte ich. Nicht wahr.
    Nein, Schätzchen. Er gab mir einen Stift.
    Ich zeichnete eine Karte vom Wednesday Pond auf die Rückseite des Blattes. Ich malte erst ein Haus, wo unser Haus stand. Und dann einen großen Pfeil, der darauf zeigte. Zuhause , schrieb ich.
    Wieder kippte das Flugzeug zur Seite.
    Ich beschloss, meine Karte mit einer Geheimbotschaft zu versehen. Ich wollte eine Geheimbotschaft in die Armlehne stecken. Damit das Flugzeug nicht abstürzte. Ein Flugzeug mit einer Geheimbotschaft in der Armlehne kann nämlich nicht abstürzen. Regel Nummer Eins von Geheimbotschaften in Flugzeugsitzarmlehnen.
    Wie schreibt man Absturz , fragte ich meinen Dad.
    Er buchstabierte es mir. Dabei schaute er an die Decke.
    Wie schreibt man Fahrwerk .
    Keine Antwort.
    Wie schreibt man Wednesday …
    In diesem Augenblick beugte er sich vor und erbrach sich in die Bitte-hier-hinein-Kotztüte.
    Ich hatte meinen Dad noch nie spucken sehen. Rasch knipste ich ein Bild.
    Audrey, muss das …
    Ich wedelte mit dem Bild, damit es sich entwickelte. Dann steckte ich es in die Armlehne. Ich spürte, wie auch mir übel wurde. Und nicht nur das, ich spürte auch mein Herz. Ich hatte es natürlich schon oft gespürt, wenn ich mir die flache Hand auf die Brust legte. Aber jetzt spürte ich mein Herz, ohne es berühren zu müssen. Es klopfte.
    Mein Dad wischte sich den Mund ab. Warum hast du ein Foto gemacht.
    Weil ich Angst habe.
    Hinter uns sagte jemand: Die Flügel sitzen fest.
    Ich sah aus dem Fenster. Saßen die Flügel denn nicht immer fest. Flattern sollten sie jedenfalls nicht. Oder doch.
    Jemand anders sagte: Bald geht uns der Treibstoff aus.
    Ich schrieb meine Geheimbotschaft fertig und »schickte« sie an die Armlehne. Bitte bitte bitte hoffentlich antwortet jemand.
    Wir flogen noch immer Schleifen. Die Piloten sprachen nicht mit uns. Sie sagten nicht: Meine Damen und Herren, keine Angst, wir stürzen nicht ab. Also stürzten wir ab.
    Sämtliche Stewardessen waren verschwunden. Jemand sagte: Wahrscheinlich verteilen sie Fallschirme an die Passagiere der ersten Klasse.
    Ich öffnete meinen Sicherheitsgurt.
    Was machst du denn da.
    Meine Schwimmweste rausholen.
    Nein, Audrey. Setz dich wieder hin.
    Unter meinem Sitz war nichts außer dem Aktenkoffer meines Hintermannes.
    Ich habe keine Schwimmweste!
    Die ist unter dem Polster. Aber du brauchst sie nicht.
    Doch. Doch. Wir stürzen ab, in den Teich ohne Grund.
    Unsinn. Setz dich gerade hin. Und schnall dich an. Klick, machte der Gurt.
     
    Es gab keine Zukunft. Ich spürte keine Zukunft. Es gab kein Danach . Es gab nur nichts, nichts, nichts.
    Oder doch nicht.
    Denn plötzlich erinnerte das Flugzeug sich an seine Vergangenheit als Dinosaurier. Ich

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