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Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman

Titel: Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green , Sophie Zeitz
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war das erste Mal, dass Colin es kommen sah. Während er behutsam den Zettel auseinanderfaltete, wusste er, dass die Prophezeiung des Theorems sich erfüllte. Allerdings machte dieses Wissen die Sache nicht besser. Warum? Warum nur? Es war so wunderschön gewesen. Die besten vier ersten Beziehungstage, die er je hatte. Bin ich verrückt geworden? Ich muss verrückt sein . Als er den Zettel öffnete, dachte er bereits daran, Gutshot noch zur gleichen Stunde für immer zu verlassen.
     
    Colin,
    es fällt mir schwer, dein Theorem bestätigen zu müssen, aber ich finde, wir sollten unsere Beziehung beenden. Das Problem ist, ich bin heimlich in Hassan verliebt. Ich kann nichts dafür. Wenn ich deine knochigen Schulterblätter in den Händen halte, muss ich an seinen fleischigen Rücken denken. Ich küsse deinen Bauch und denke an seinen gewaltigen Ranzen. Ich mag dich, Colin, ich mag dich wirklich. Aber – es tut mir leid. Es funktioniert einfach nicht.
    Ich hoffe, wir können Freunde bleiben.
    Aufrichtig deine
    Lindsey Lee Wells
    PS. War nur Spaß.
     
    Colin wäre gern rundum glücklich gewesen, wirklich. Denn seit er Lindseys steile Kurve gesehen hatte, hoffte er mit aller Macht, dass die Formel falsch war. Doch als er jetzt auf dem Bett saß, den Zettel noch in den zitternden Händen, musste er sich eingestehen, dass er nie ein Genie sein würde. Und selbst wenn er Lindsey gerne glaubte, wenn sie sagte, dass man so wichtig ist wie das, was einem wichtig ist, wollte er einfach, dass sein Theorem funktionierte. Er wollte immer noch etwas Besonderes sein, wie man es ihm in seiner Kindheit versprochen hatte.
     
     
Epilog (Das Lindsey-Lee-Wells-Kapitel)
    Am nächsten Tag versuchte Colin fieberhaft, das Theorem zu reparieren, während Hassan und Lindsey auf der Terrasse der rosaroten Villa im Schutz der Fliegengitter Penny-Poker spielten. Der Deckenventilator rührte durch die warme Luft, ohne sie abzukühlen. Colin achtete kaum auf das Kartenspiel. Er versuchte, sein Theorem dahingehend zu korrigieren, dass Lindsey Lee Wells offensichtlich immer noch seine Freundin war. Und doch war es am Ende das Kartenspiel, das den unlösbaren Fehler in seiner Gleichung erklärte.
    Hassan rief: »Sie hat dreizehn Pennys auf dem Tisch, Singleton! Es steht ein Haufen Kohle auf dem Spiel. Soll ich ›sehen‹ sagen?«
    »Sie hat eine gewisse Neigung zum Bluffen«, antwortete Colin, ohne aufzublicken.
    »Bete, dass du recht hast, Singleton. Ich will sehen. Leg die Karten auf den Tisch, Schätzchen. Die Gutshot-Dolly hat einen Damendrilling! Teuflisch gutes Blatt, aber ich komme drüber – FULL HOUSE!« Lindsey stöhnte enttäuscht, als Hassan seine Karten zeigte.
    Colin hatte keine Ahnung von Poker, außer dass es in dem Spiel um menschliches Verhalten und Wahrscheinlichkeit ging, womit es ein quasi geschlossenes System darstellte, das theoretisch durch ein Theorem nach Art seines Theorems darstellbar sein müsste. Und als Hassan sein Fullhouse hinlegte, hatte Colin plötzlich die Erkenntnis: Er konnte zwar ein Theorem entwickeln, das erklärt, warum die letzten Pokerspiele gewonnen oder verloren wurden, aber er würde nie vorhersagen können, wie die zukünftigen Spiele verlaufen. Die Vergangenheit war, wie Lindsey gesagt hatte, eine logische Geschichte. Sie ist der Sinn dessen, was passiert ist. Die Zukunft aber, die noch keine Erinnerung ist, musste keinen Sinn enthalten, ja, sie war sogar völlig immun dagegen.
    In diesem Moment dehnte sich, unfassbar durch mathematische oder sonstige Theoreme, vor Colin die Zukunft aus: unendlich und unkenntlich und wunderschön.
    »Heureka«, sagte Colin, und erst als er es ausgesprochen hatte, merkte er, dass er zum ersten Mal erfolgreich geflüstert hatte.
    »Ich habe gerade etwas rausgefunden«, sagte er dann etwas lauter. »Die Zukunft ist nicht vorhersehbar.«
    »Manchmal sagt der Kafir gern sonnenklare Dinge in einem echt bedeutungsvollen Ton«, sagte Hassan.
    Während Hassan sich wieder dem Zählen seiner Siegerpennys zuwandte, lachte Colin, doch in seinem Gehirn rasten die Gedanken: Wenn die Zukunft ewig ist , dachte er, dann verschluckt sie uns alle irgendwann. Selbst Colin kannte nur eine Handvoll Namen von Leuten, die, sagen wir, vor 2400 Jahren gelebt hatten. In weiteren 2400 Jahren wäre vielleicht sogar Sokrates vergessen, das bekannteste Genie jenes Jahrhunderts. Die Zukunft verschluckte alle, und es gab kein Ausmaß von Genie oder von Ruhm, das diesem Schicksal entrinnen konnte.

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