Die erste Nacht - Roman
fünfzig Gräbern gesprochen, nichts aber beweist, dass sich nicht noch mehr auf dem Plateau befinden.«
»Wir filmen alle anderen Gräber, wenn wir sie geöffnet haben, und schließen sie so lange wieder, bis wir der wissenschaftlichen Gemeinschaft die spektakulären Ergebnisse unserer Recherchen preisgegeben haben, mit den dazugehörenden
Beweisen, versteht sich. Dann melden wir die Ausgrabungen offiziell bei den entsprechenden Behörden an und treffen mit ihnen die notwendigen Entscheidungen. Ich will nicht in den Verdacht geraten, hierhergekommen zu sein, um zu plündern. Aber ich erinnere Sie daran, dass dies nicht der einzige Grund ist, der uns hergeführt hat. Es ist nicht die Zahl der Eisgräber, die uns interessiert, sondern dasjenige zu finden, in dem Ihr Fragment versteckt ist. Sie sollten sich weniger mit den einzelnen Mumien befassen und sich mehr auf die Gräber und die Gegenstände darin konzentrieren.«
Keira schob nachdenklich ihren Teller beiseite und starrte ins Leere.
»Was ist los?«, fragte ich sie.
»Diese Menschen sind vor Kälte und Hunger gestorben, und die Natur hat sie bestattet. Sie haben sicher nicht mehr die Kraft gehabt, Gräber für jene auszuheben, die vor ihnen gestorben sind. Und mit Ausnahme der Kinder und der ganz Alten müssen sie ziemlich kurz hintereinander den Tod gefunden haben.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Egorov.
»Denken Sie nach … Sie haben Tausende von Kilometern zurückgelegt, um eine Botschaft zu überbringen - eine Reise, die sich über mehrere Generationen erstreckt hat. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehören zu den letzten Überlebenden dieses unglaublichen Abenteuers … Ihnen wird bewusst, dass Sie in einer Falle stecken und das Ziel der Reise nicht erreichen werden. Was tun Sie?«
Egorov sah mich an, als hätte ich die Antwort parat … Es war das erste Mal, dass er sich für mich interessierte! Um Zeit zu gewinnen, nahm ich von dem Ragout nach, das, nebenbei bemerkt, ziemlich grässlich schmeckte.
»Nun«, sagte ich mit vollem Mund und überlegte, »auf alle Fälle …«
»Wenn Sie diese Tausende von Kilometern zurückgelegt hätten, um eine Botschaft zu überbringen«, unterbrach mich Keira, »wenn Sie Ihr Leben geopfert hätten, würden Sie dann nicht alles daransetzen, dass letztere ihre Empfänger erreicht?«
»In diesem Fall wäre die Idee, sie zu vergraben, nicht besonders klug«, sagte ich und sah Egorov triumphierend an.
»Genau!«, rief Keira. »Und so bringen Sie Ihre letzten Kräfte auf, um sie an einem Ort zu deponieren, wo sie entdeckt werden kann.«
Egorov und Keira sprangen auf, zogen ihre Parkas über und stürzten nach draußen. Vorsichtshalber eilte ich ihnen nach.
Die Teams hatten sich schon wieder an die Arbeit gemacht.
»Aber wo?«, fragte Egorov und ließ den Blick über die verschneite Landschaft schweifen.
»Ich bin kein Spezialist in Archäologie wie Sie beide«, sagte ich in aller Bescheidenheit, »aber wenn ich dabei wäre zu erfrieren, was übrigens der Fall ist, und wenn ich vermeiden wollte, dass ein Gegenstand im Erdreich verschwindet … so befände sich der einzige denkbare Ort deutlich sichtbar vor uns.«
»Die Steinriesen«, rief Keira. »Das Fragment muss in die Außenwand eines der Totems eingelassen sein!«
»Ich möchte ja kein Spielverderber sein, aber da die durchschnittliche Höhe dieser Steinblöcke etwa fünfzig Meter und ihr Durchmesser zehn Meter beträgt, ergibt das, zählt man Risse und Vertiefungen nicht hinzu, eine Oberfläche von eintausendfünfhunderteinundsiebzig Quadratmeter pro Totem. Außerdem muss vorher der Schnee, der sie bedeckt, zum Schmelzen gebracht und ein Mittel gefunden werden, in solchen Höhen zu arbeiten, um dieses Projekt, das ich als fantastisch bezeichnen würde, in die Tat umzusetzen.«
Keira sah mich irritiert an.
»Wie, was habe ich gesagt?«
»Du bist ein Spielverderber!«
»Er hat nicht ganz unrecht«, schaltete sich Egorov ein. »Wir verfügen nicht über die Mittel, um die Riesen von ihrem Eismantel zu befreien. Wir müssten Gerüste aufstellen und bräuchten zehnmal mehr Männer, als hier sind. Das ist unmöglich.«
»Warten Sie«, sagte Keira. »Überlegen wir noch einmal.«
Sie begann, am Rand des Ausgrabungsgeländes auf und ab zu laufen.
»Ich bin diejenige, die das Fragment bei sich trägt«, sagte sie laut. »Meine Begleiter und ich sitzen auf dieser Hochebene fest, auf die wir unvorsichtigerweise geklettert sind, um besser sehen zu
Weitere Kostenlose Bücher