Die erste Nacht - Roman
was du da tust?«, flüsterte mir Keira zu.
»Ich hoffe.«
»Bitte begeben Sie sich hinter die Schutzwände«, sagte Ubach.
Das Lasergerät begann zu knistern, die von den Elektronen erzeugte Energie stimulierte die Gasatome in den Glasröhren, die Photonen begannen, zwischen den beiden Spiegeln an den Extremitäten der Röhren zu schwingen. Der Prozess amplifizierte sich, und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis der Strahl stark genug wäre, um die halb durchsichtige Fläche der Spiegel zu durchdringen - und ich wüsste endlich, ob ich mich getäuscht hatte oder nicht.
»Sind Sie bereit?«, fragte Ubach, der ebenso ungeduldig war wie wir selbst.
»Ja, mehr denn je«, antwortete Ivory. »Sie können sich nicht vorstellen, wie lange wir auf diesen Augenblick gewartet haben.«
»Halt!«, rief ich. »Haben Sie einen Fotoapparat?«
»Wir haben etwas viel Besseres«, erklärte Ubach, »sechs Kameras nehmen in einem Winkel von neunzig Grad alles auf, was vor dem Laser passiert, sobald sich dieser in Gang gesetzt hat. Können wir anfangen?«
Ubach drückte den Hebel herunter, ein Laserstrahl von außergewöhnlicher Stärke schoss aus dem Apparat und traf auf die drei Fragmente, der Ring begann zu schmelzen, und die Fragmente nahmen ihre nachtblaue Färbung an, die diesmal intensiver war, als Keira und ich sie bisher gesehen hatten. Die Oberfläche begann zu funkeln, von Sekunde zu Sekunde nahm die Helligkeit zu, und plötzlich wurden Milliarden von Lichtpunkten auf die Wand gegenüber dem Lasergerät geworfen. Jeder der im Labor Anwesenden erkannte das unendliche Himmelszelt vor sich.
Im Gegensatz zu der ersten Projektion, der wir beigewohnt hatten, begann sich das Universum nun spiralförmig zu drehen und zog sich langsam in sich selbst zurück. Auf dem Sockel kreisten die Fragmente in ihrem Ring in rasender Geschwindigkeit.
»Das ist unglaublich!«, flüsterte Ubach.
»Mehr als das!«, meinte Ivory, dem die Tränen in den Augen standen.
»Was ist das?«, fragte der Rektor der Universität.
»Die allerersten Augenblicke des Universums«, antwortete ich.
Doch das war nicht die einzige Überraschung. Die Leuchtkraft der Fragmente nahm zu, die Rotation wurde immer schneller. Das Himmelszelt drehte sich noch immer um die eigene Achse und hielt dann plötzlich kurz an. Ich hatte gehofft, es würde seinen Lauf beenden und uns ein Bild des ersten Sterns, der Stunde null, enthüllen, die ich so gerne entdecken wollte, doch was dann folgte, war ganz anderer Natur. Das projizierte Bild wurde zusehends größer, einige Sterne verschwanden, als würden sie durch die Annäherung an den Rand des Bildausschnitts gedrängt. Der optische Effekt war mehr als eindrucksvoll, wir hatten das Gefühl, durch die Galaxien transportiert zu werden, und näherten uns dann einer, die ich erkannte.
»Wir sind in unsere Milchstraße eingedrungen«, erklärte ich den anderen, »doch die Reise geht weiter.«
»Wohin?«, fragte Keira verblüfft.
»Das weiß ich noch nicht.«
Auf dem Sockel drehten sich die Fragmente immer schneller und gaben jetzt einen schrillen Pfeifton von sich. Der Planet, auf den die Projektion zuschoss, wurde immer größer. Im Zentrum erschien unsere Sonne, dann folgte Merkur.
Die Geschwindigkeit der Fragmentrotation war jetzt verblüffend, der Ring, der sie zusammengehalten hatte, war längst geschmolzen, doch nichts schien sie mehr trennen zu können, die Farbe veränderte sich von Nachtblau zu Indigo, mein Blick richtete sich wieder auf die Wand. Wir näherten uns eindeutig der Erde und konnten bereits die Meere, sowie drei Kontinente erkennen. Schließlich kam Afrika immer näher. In schwindelerregendem Tempo ging es zum Osten des Kontinents. Das schrille Pfeifen der kreisenden Fragmente wurde fast unerträglich. Ivory hielt sich die Ohren zu, Ubachs Hände ruhten weiter auf dem Schaltpult, um jederzeit alles anhalten zu können. Kenia, Uganda, Sudan, Eritrea und Somalia verschwanden aus
unserem Gesichtsfeld, und wir näherten uns Äthiopien. Die Rotation der Fragmente verlangsamte sich, und das Bild wurde klarer.
»Ich kann das Lasergerät nicht länger mit dieser Stärke arbeiten lassen«, drängte Ubach. »Wir müssen aufhören.«
»Nein!«, schrie Keira. »Seht!«
In der Mitte des Bildes erschien ein winziger roter Punkt, je mehr wir uns ihm näherten, desto intensiver wurde er.
»Wird alles, was wir hier sehen, gefilmt?«
»Alles«, gab Ubach zurück. »Kann ich jetzt
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