Die erste Nacht - Roman
Alvaro, der in den Tiefen des Grabens
verschwunden war, einen Schrei aus, der im ganzen Lager widerhallte. Kurz darauf folgte ein weiterer von Karvelis.
Keira sprang auf, stand zunächst wie versteinert da und durchquerte dann langsam die Lichtung. Alvaros Kopf tauchte aus dem Loch auf, er lächelte, wie ich nie zuvor jemanden hatte lächeln sehen. Keira beschleunigte den Schritt, dann stürzte sie los, als eine Stimme ertönte, die zur Ordnung rief.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst in der Ausgrabungsstätte nicht rennen«, sagte Harry.
Er nahm sie bei der Hand und zog sie an den Rand des Grabens, um den sich die Teammitglieder jetzt versammelten. Am Grund des Lochs hatten Alvaro und Karvelis Knochen gefunden. Fossilisierte menschliche Knochen. Das Archäologenteam hatte ein fast intaktes Skelett entdeckt.
Keira stieg hinab zu ihren beiden Kollegen und kniete sich neben den Fund. Die Knochen steckten noch fest im Erdreich, deshalb würde man viele Stunden brauchen, um sie daraus zu befreien.
»Du hast mir schwer zu schaffen gemacht, doch jetzt habe ich dich gefunden«, sagte sie und strich fast zärtlich über die Schädeldecke. »Später werden wir dich taufen müssen, aber erst erzählst du uns mal, wer du warst und vor allem, wie alt du bist.«
»Irgendetwas stimmt da nicht«, meinte Alvaro. »Ich habe noch nie derart fossilierte Knochen gesehen.«
»Das soll kein dummer Witz sein, aber dieses Skelett ist für sein Alter zu weit entwickelt …«
Ich half Keira aus dem Graben und entfernte mich mit ihr von der Gruppe.
»Glaubst du, das Versprechen, das ich dir gegeben habe, hat sich erfüllt, und diese Knochen sind tatsächlich so alt, wie wir vermutet haben?«
»Das weiß ich noch nicht, es scheint unfassbar, und dennoch … Nur eine wirklich professionelle Analyse könnte uns beweisen, dass ein solcher Traum Wirklichkeit geworden ist. Aber sollte es der Fall sein, so handelt es sich um die größte jemals gemachte Entdeckung der Menschheitsgeschichte.«
Keira kehrte in den Graben zu ihren Kollegen zurück. Mit Einbruch der Dunkelheit wurden die Arbeiten eingestellt und früh am nächsten Morgen wieder aufgenommen, aber niemand vor Ort zählte mehr die Tage.
Doch das war noch längst nicht alles. Der dritte Tag bescherte uns eine mindestens ebenso große Überraschung. Seit dem frühen Morgen sah ich Keira mit unbeschreiblicher Sorgfalt am Werk. Millimeter für Millimeter arbeitete sie sich mit dem Pinsel voran, den sie wie eine Pointillistin handhabte, um die Knochen von ihrer Erdhülle zu befreien. Plötzlich hielt sie inne. Keira spürte einen leichten Widerstand unter ihrem Werkzeug; man dürfe nichts forcieren, erklärte sie mir, sondern müsse die Erhebung umzirkeln, um die Formen zu erfassen. In diesem Fall war sie außerstande zu erraten, was sich unter dem feinen Pinsel abzeichnete.
»Es ist ganz sonderbar«, sagte sie, »man könnte meinen, es sei etwas Kugelförmiges, vielleicht eine Kniescheibe. Aber mitten im Brustkorb …«
Die Hitze wurde unerträglich, immer wieder fielen Schweißtropfen von ihrer Stirn in den Staub, und ich hörte sie fluchen.
Alvaro hatte seine Pause beendet und schlug vor, sie abzulösen. Keira war erschöpft und überließ ihm ihren Platz, flehte ihn aber an, mit größter Sorgfalt vorzugehen.
»Komm«, sagte sie, »der Fluss ist nicht weit. Ich brauche eine Abkühlung.«
Das Ufer des Omos war sandig. Keira zog sich aus und sprang ins Wasser, ohne auf mich zu warten. Ich zog Hemd und Hose aus, folgte ihr und nahm sie in die Arme.
»Die Umgebung ist zugegebenermaßen romantisch und ideal für ein ausgiebiges Liebesspiel«, sagte sie. »Glaub bloß nicht, ich hätte keine Lust dazu, aber wenn du weiter so herumhampelst, bekommen wir gleich Besuch.«
»Besuch welcher Art?«
»Von der Art ausgehungerter Krokodile. Komm, schnell raus hier. Ich wollte mich nur etwas erfrischen. Wir trocknen uns am Ufer ab und kehren zu den Ausgrabungen zurück.«
Als wir uns dem Graben näherten, erwartete uns Alvaro schon, das heißt, er erwartete Keira.
»Was graben wir hier deiner Meinung nach aus?«, fragte er Keira so leise, dass die anderen es nicht hören konnten. »Hast du die geringste Ahnung?«
»Was ist denn los? Du scheinst beunruhigt. Warum?«
»Hier, deshalb«, erwiderte Alvaro und reichte ihr etwas, das wie eine große Glasmurmel aussah.
»Das muss das sein, worauf ich vorhin vor dem Baden gestoßen bin.«
»Ich habe es zehn Zentimeter von
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