Die erste Nacht - Roman
sie jene nachtblaue Färbung an, die uns so verzaubert hatte. Die Wirkung auf die anwesenden Archäologen war unbeschreiblich und erübrigte sämtliche Erklärungen, die Keira hätte abgeben können. Selbst Eric war sprachlos. Und als ein bewunderndes Murmeln durch die Versammlung ging, war er der Erste, der applaudierte.
»Das ist ein wunderschönes Objekt, danke für diese magische Vorführung«, sagte er. »Aber eure Kollegin hat euch nicht alles gesagt, sie will uns weismachen, dass dieses Lichtspielzeug vierhundert Millionen Jahre alt ist, mehr nicht!«
Einige kicherten höhnisch, andere nicht. Keira stieg auf eine Kiste.
»Hat irgendjemand unter euch in der Vergangenheit auch nur das geringste Anzeichen von Unseriosität bei mir festgestellt? Habt ihr, als ihr euch entschieden habt, für dieses Projekt im Omo-Tal eure Familie und eure Freunde für lange Monate zu verlassen, geprüft, auf wen ihr euch da einlasst? Gibt es einen unter euch, der Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit hatte, bevor er das Flugzeug genommen hat? Meint ihr, ich wäre zurückgekommen, um euch eure Zeit zu stehlen und mich vor euch lächerlich zu machen?«
»Was erwartest du von uns?«, fragte Wolfmayer, einer der Archäologen.
»Dieser Gegenstand mit den seltsamen Eigenschaften ist auch eine Karte«, fuhr Keira fort. »Ich weiß, das ist schwer zu glauben, aber wenn ihr Zeuge des Phänomens geworden wärt, dem wir beigewohnt haben, hättet ihr euren Augen nicht getraut. Innerhalb weniger Monate habe ich gelernt, all meine Gewissheiten infrage zu stellen - was für eine Lektion in Demut! 5°10’2”67 Breitengrad Nord und 36°10’1”74 Längengrad Ost, das ist der Punkt, den sie uns anzeigt. Ich bitte euch, mir für höchstens eine Woche euer Vertrauen zu schenken, und schlage vor, alles nötige Zubehör in diese beiden Jeeps zu packen und morgen mit mir an besagtem Ort Ausgrabungen vorzunehmen.«
»Um was zu finden?«, fragte Eric aufgebracht.
»Das weiß ich noch nicht«, gab Keira zu.
»Na großartig! Als wäre es nicht genug, dass wir aus dem Omo-Tal vertrieben worden sind, verlangt unsere große Archäologin jetzt auch noch, dass wir acht Tage Arbeit in den Sand setzen, um uns weiß der Teufel wohin zu begeben und nach weiß der Teufel was zu suchen. Willst du uns zum Besten halten?«
»Moment mal, Eric«, mischte sich jetzt Wolfmayer ein. »Was haben wir zu verlieren? Wir graben seit Monaten und haben bis jetzt nichts Verwertbares gefunden. Und Keira hat in einem Punkt recht. Wir haben uns ihr gegenüber verpflichtet, und ich denke, sie will nicht das Risiko eingehen, sich lächerlich zu machen, indem sie uns ohne gute Gründe an diesen Ort führt.«
»Mag sein, aber kennst du ihre Gründe?«, protestierte Eric. »Sie kann uns ja noch nicht einmal sagen, was sie zu finden hofft. Wisst ihr, was unser Team eine vergeudete Woche kostet?«
»Wenn du auf unsere Gehälter anspielst«, meinte Karvelis, ein anderer Kollege, »so dürfte das niemanden ruinieren. Und, wenn ich mich nicht irre, hat sie diese Gelder beschafft. Seit sie fort ist, tun wir alle so, als wäre nichts, aber Keira ist die Initiatorin dieser Ausgrabungskampagne. Ich sehe keinen Grund, warum wir ihr nicht ein paar Tage zugestehen sollten.«
Normand, einer der Franzosen des Teams, meldete sich zu Wort.
»Die Koordinaten, die Keira uns angegeben hat, sind äußerst präzise. Selbst wenn wir das Areal der Planquadrate auf etwa fünfzig Quadratmeter ausdehnen, brauchen wir unsere Installationen hier nicht abzubauen. Wir dürften mit wenig Material auskommen, sodass eine Woche Abwesenheit unsere laufenden Arbeiten hier nicht wirklich beeinflusst.«
Eric wandte sich an Keira und bat sie um ein Gespräch unter vier Augen. Sie entfernten sich gemeinsam ein Stück von der Gruppe.
»Bravo, wie ich sehe, bist du noch immer so schlagfertig wie früher und hast sie fast schon rumgekriegt, dir zu folgen. Nun ja, warum auch nicht? Aber ich habe immer noch ein Wörtchen mitzureden. Ich kann zum Beispiel mit meiner Kündigung
drohen. Dann sind sie gezwungen, sich zwischen uns beiden zu entscheiden.«
»Sag mir, was du willst, Eric. Ich habe eine lange Reise hinter mir und bin müde.«
»Egal, was wir finden, sofern wir denn überhaupt etwas finden, so will ich, dass die Entdeckung mir und dir zu gleichen Teilen zugeschrieben wird. Während du gemütlich durch die Weltgeschichte getingelt bist, habe ich hier nicht geschuftet wie ein Tier, um am Ende auf den Rang des
Weitere Kostenlose Bücher