Die erste Nacht - Roman
irgendetwas preiszugeben.«
»Die Türen unserer Maschine wurden bereits geschlossen, und mir blieb sehr wenig Zeit, außerdem hatte ich den Eindruck, Sie geweckt zu haben …«
Walter warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Erzählen Sie mir jetzt, was Sie in Afrika gefunden haben, oder soll ich dumm sterben? Bei all der Mühe, die ich mir Ihretwegen mache, habe ich doch wohl das Recht auf ein paar Informationen. Ich bin nicht nur Laufbursche, Chauffeur, Briefträger …«
»Wir haben ein unglaubliches Skelett gefunden«, erklärte Keira und tätschelte freundschaftlich sein Knie.
»Und ein paar alte Knochen versetzen Sie beide in einen derartigen Glückszustand? Sie müssen in einem früheren Leben Hunde gewesen sein. Übrigens haben Sie eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Spaniel, Adrian. Finden Sie nicht, Keira?«
»Und ich sehe dann wohl aus wie ein Cocker?«, fragte sie und drohte ihm mit ihrer gerollten Zeitung.
»Das habe ich nicht gesagt!«
Das Taxi hielt vor der British Society for Genetic Research. Es handelte sich um einen futuristischen Bau mit luxuriöser Ausstattung. Lange Flure führten zu Hightech-Laboren: Pipetten, Zentrifugen, elektronische Mikroskope, Kühlkammern - es würde endlos dauern, alles aufzuzählen. Eine Heerschar von Forschern in roten Kitteln arbeitete in beeindruckender Ruhe an diesen modernen Geräten. Poincarno führte uns durch die Örtlichkeiten und erklärte uns die Besonderheit eines jeden Labors.
»Unsere Arbeiten haben verschiedene wissenschaftliche Ziele. Aristoteles hat gesagt: ›Leben heißen wir Ernährung eines Körpers, Wachstum und Abnahme durch sich selbst, aber man könnte auch sagen: ›Leben heißen wir alles, was in sich Programme und eine Art Software trägt.‹ Wenn sich ein Organismus entwickelt, gilt es, Unordnung und Anarchie zu vermeiden. Damit etwas Kohärentes entsteht, bedarf es eines Plans. Wo verbirgt das Leben den seinen? In der DNA. Öffnen Sie irgendeinen Zellkern, und Sie finden DNA-Ketten, die alle genetischen Informationen einer Art enthalten - eine gigantische verschlüsselte Botschaft. Die DNA ist die Trägerin der Erbinformation. Dank einer groß angelegten weltweiten Kampagne zur Zellentnahme bei verschiedenen Ethnien haben wir festgestellt, dass es über die Jahrtausende unerwartete Verwandtschaften und große Wanderbewegungen gab. Die Untersuchung dieser DNA-Proben hat es uns erlaubt, nach und
nach den Evolutionsprozess jener Migrationen zu entschlüsseln. Die DNA gibt von Generation zu Generation Informationen weiter, das Programm entwickelt sich und trägt so zu unserer Entwicklung bei. Schließlich stammen wir alle von demselben Wesen ab, nicht wahr? Bis zu ihm zurückzugelangen heißt, die Ursprünge des Lebens entdecken. Man findet beispielsweise bei den Inuit und bei den Völkern im Norden Sibiriens erbbedingte Verbindungen. Dadurch können wir dem einen oder anderen erklären, woher ihre Urururgroßeltern stammen … Doch wir untersuchen auch die DNA der Insekten oder Pflanzen. Kürzlich haben wir die Blätter eines zwanzig Millionen Jahre alten Magnolienbaums zum Sprechen gebracht. Wir können heute sogar dort DNA entnehmen, wo man nicht mehr das geringste Piktogramm vermuten würde.«
Keira zog die kleine Kapsel aus der Tasche und reichte sie Poincarno.
»Ist das Bernstein?«, fragte er.
»Ich glaube, es handelt sich eher um künstliches Harz.«
»Wie, künstliches Harz?«
»Das ist eine lange Geschichte, können Sie das untersuchen, was sich im Inneren befindet?«
»Wenn es mir gelingt, die umgebende Substanz zu durchdringen, ja. Folgen Sie mir!«, sagte Poincarno, der die Kugel mit immer größerer Neugier betrachtete.
Im Labor herrschte ein rötliches Dämmerlicht. Poincarno schaltete die Lampen ein, die Neonröhren flammten auf. Er nahm auf einem Hocker Platz und spannte die Kapsel in einen winzigen Schraubstock. Mit der Klinge eines Skalpells versuchte er erfolglos, die Oberfläche einzuritzen, legte dann das Instrument beiseite und griff nach einem Diamantschneider, der der Kapsel allerdings nicht einmal einen Kratzer zuzufügen vermochte. Also wurden der Raum und die Methode gewechselt,
diesmal nahm der Doktor sie mit dem Laser in Angriff, doch das Resultat war nicht überzeugender.
»Gut«, sagte er, »große Probleme erfordern große Mittel, kommen Sie mit!«
Wir traten in eine Schleuse, wo Poincarno uns eigenartige Schutzanzüge anlegen ließ, die uns von Kopf bis Fuß bedeckten. Dazu bekamen wir
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